Robert Habeck

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Die offizielle Seite von Robert Habeck. Seit dem 8. Dezember 2021 ist er der Stellvertreter des Bundeskanzlers sowie Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz im Kabinett Scholz.

September 2023
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Wenn wir kämpfen, müssen wir bereit sein, alles zu verlieren. Nur so werden wir gewinnen

Robert HabeckRobert Habeck

Scheinbar aus dem Blauen heraus hat die CSU eine veritable politische Krise ausgelöst. Aber der Schein trügt. Es gibt einen Grund und eine Konsequenz. Und die könnte fundamentaler und basaler nicht sein. Es wird eine Auseinandersetzung wie sie die Republik seit langem nicht erlebt hat. Und diese lautet: Liberale Demokratie oder Illiberale Autokratie, europäische Einigung oder nationale Abschottung.

Terrain für die liberale Demokratie wieder zurückerkämpfen

In einem gewissen Sinn passiert mit der Union das, was der SPD mit der Linken/ WASG vor 15 Jahren passiert ist. Aber der Riss liberal/illiberal, europäisch/ national geht auch durch die FDP, die Linke und – schwächer – auch durch die SPD. Nur die AfD und die Grünen sind da sortiert. Und so, wie sich das Politische durch die AfD in Richtung autoritäre Politik verschoben hat, wird es ganz maßgeblich an den Grünen liegen, das Terrain für die liberale Demokratie wieder zurückzuerkämpfen. Ich wäre froh, wenn ich das nicht schreiben müsste und wenn wir diese Aufgabe nicht hätten. Aber wir haben sie. Tag für Tag wird die gesellschaftliche Erwartung an uns größer werden, Maß und Mitte zu bewahren und zu verteidigen. Die Zuspitzung wird zunehmen. Auf unsere Leidenschaft, unsere Entschlossenheit und Geschlossenheit wird es ankommen, ob wir Einigkeit und Recht und Freiheit halten werden in Deutschland, oder ob klammheimlich wieder die erste Strophe der Nationalhymne deutsche Politik dominiert.

Unentschiedenheit führt zur Bedeutungslosigkeit

Alle Parteien werden sich entscheiden müssen, auf welcher Seite sie stehen. Unentschiedenheit wird zur Bedeutungslosigkeit führen oder zur Aufspaltung der Parteien. Insofern ist das, was bei der Union passiert, nämlich die innere Spaltung, nur der Vorbote dessen, was in der Bundesrepublik zur Abstimmung steht.

Keine Sachfrage, eine Machtfrage

Wie konnte es dazu kommen? Der Auslöser wird die Analyse von CSU-Strategen gewesen sein, dass sie mit den bisherigen Mitteln – Kreuze in Amtsstuben, Polizeiaufgabengesetz, Obergrenze-Forderungen – nicht die absolute Mehrheit in Bayern verteidigen werden. Deshalb hat man sich entschieden, den Kern des Konfliktes mit der CDU, die Abweisungen von Flüchtlingen an den Außengrenzen, aus dem Hut zu zaubern.

Es ist nicht so, dass diese Frage neu wäre. Sie war Gegenstand des Unionskompromisses vor der Bundestagswahl und der Aufstellung zu den Koalitionsverhandlungen. Nur hatte sich Merkel immer durchgesetzt. Deshalb ist in den Koalitionsgesprächen auch alles Mögliche im Bereich Asyl vereinbart worden, dies aber nicht. Die CSU wusste also, dass sie mit diesem Punkt nicht eine weitere Sachfrage stellt, sondern die Machtfrage. Es muss allen klar gewesen sein, dass sie mit diesem einen Punkt Bundeskanzlerin Merkel entmachten wollen, entweder, indem sie ihren Rücktritt erzwingen oder indem sie sie düpieren. Und deshalb geht es bei diesem Konflikt überhaupt nicht um Sachlösungen. Jeder halbwegs vernunftbegabte Politiker wäre in der Lage, diesen Streit zu lösen, so lange Vernunftbegabung für eine gewisse Debattenqualität sorgt. Und das tut sie eben nicht. Es geht um Macht in ihrem nacktesten und brutalsten Sinn.

Die Ursache des Konfliktes liegt weitaus tiefer. Die Führungsebene der CSU hat schon seit Jahren einen Kurs eingeschlagen, der sie auf die Linie der autoritären Regime in Osteuropa bringt. Sie bewundert den österreichischen Kanzler, der mit der FPÖ regiert (was die Frage nach sich zieht, ob in Bayern die CSU bald mit der AfD regiert). Sie lädt Victor Orban zu ihrer Neujahrsklausur ein und bezeichnet seine Politik als bürgerlich im besten Sinn. Und Herr Dobrindt rief die konservative Revolution aus. Wir sollten uns keiner Illusion mehr hingeben und denken, die reden nur so dahin. Wer Söder im Fernsehen gesehen hat, kann keine Zweifel mehr haben. Es geht den führenden Akteuren der CSU um einen konservativen Putsch innerhalb der Union, eine Richtlinienverschiebung der deutschen Politik zurück nicht nur hinter Helmuth Kohl, sondern faktisch hinter Konrad Adenauer. Es geht ihnen um eine Allianz mit den nationalistischen Staaten.

Es kann sein, dass es der Union noch einmal gelingt, über das Wochenende zu kommen, einen Formelkompromiss zu schließen und irgendwie Zeit zu gewinnen. Aber gewonnen ist damit nichts. Diese Frage wird nicht dauerhaft auszuklammern sein.

Die Gegenwart 2018

Der Tiefengrund der politischen Plattenverschiebung ist jedoch noch ein anderer. Die Prozesse und Herausforderungen, die Politiker fordern, sind international geworden, haben sich immer drastischer beschleunigt und von den Steuerungsmechanismen der nationalen Politik entkoppelt. Wachsende Ungleichheit, Hilflosigkeit in der Außenpolitik, rasante Klimaerhitzung– das ist alles Gegenwart 2018. Und die politischen Antworten klingen wie aus dem letzten Jahrtausend und häufig sind sie es auch. Und weil weder erklärt wird, was gerade abgeht, noch an adäquaten politischen Antworten gearbeitet wird, greifen die kurzsichtigsten und rückwärtsgewandtesten Suggestionen. Früher war alles besser. Also tun wir doch wieder so wie früher.

Größer denken als in den Grenzen des Nationalstaates

Wir können diese Auseinandersetzung gewinnen. Aber wir werden sie nicht gewinnen, wenn wir in der Defensive bleiben. Fairness und Vernunft, Freiheit und Zusammenhalt brauchen neue Antworten, neue politische Konzepte. Wohlstand und Gerechtigkeit brauchen neue Wirtschaftsformen, und Halt und Identität brauchen ein neues Versprechen. Dazu werden wir den Widerspruch zwischen Nation und Europa aussöhnen müssen. Deutschland wird nur dann die Werte dieser Republik halten können, wenn es größer denkt als in den Grenzen des Nationalstaates. Unsere Wirtschaft ist global und globale Konzerne tanzen dem Gemeinwesen auf der Nase rum. Unsere Werte sind universal. Die Klimakrise ist eine weltweite. Flucht und Verreibung sind es auch. Wer Freiheit und Demokratie will, muss sich um Europa kümmern. Wer Deutschland verstehen will, muss die Welt im Blick haben. Flüchtlinge, Klimawandel, Arbeitsplatzverlust, Kriege, Terror – alles schlägt zurück.

Wenn wir angreifen wollen, müssen wir uns angreifbar machen

Wir müssen die Globalisierung gerecht machen, wenn wir Gerechtigkeit im eigenen Land wollen. Und wir werden Freiheit nur dann verteidigen, wenn die liberale Demokratie nicht nur ein Projekt für wenige Profiteure ist. Weil die globale Klimakrise Fahrt aufnimmt, weil eine globaler, digitaler Kapitalismus schneller und schneller wird, sind politische Entscheidungen so häufig nur nachlaufend, reparieren, statt gestalten. Und das führt zu einem Spaltspilz, der den Kern der Republik bedroht. Wir verlieren damit die friedensstiftende Wirkung des Rechts. Deshalb müssen wir auch die Art, wie Politik gemacht wird, neu erfinden. Wir müssen das Machen von dem Ruch der Machenschaft befreien. Wer führen will, muss dienen wollen. Die eigentliche Macht, ist das Wissen um unsere Verletzlichkeit. Wenn wir angreifen wollen, müssen wir uns angreifbar machen. Wenn wir reden, müssen wir zweifeln. Wenn wir realistisch sein wollen, müssen wir radikal werden. Wenn wir kämpfen, müssen wir bereit sein, alles zu verlieren. Nur so werden wir gewinnen. Im Ton ruhig, in der Haltung gelassen, im Herz entschlossen, so erkämpfen wir Recht und Menschlichkeit.