Foto: Dominik Butzmann Ich bin auf Wahlkampftour, um mit Bürger*innen in ganz Deutschland ins Gespräch kommen. Über Klimaschutz,...
Raus aus dem Frust
Der Wahlabend von Mecklenburg-Vorpommern ist in vielfacher Hinsicht aufwühlend. Dass SPD und Linke sich wie die CSU von der Merkel-CDU absetzen, ist billig und lässt nichts Gutes ahnen. Dass es im Wahlkampf so gar nicht mehr um Inhalt ging, ist für alle Parteien ein Alarmsignal, besonders für uns Grüne, die wir uns ja selbst immer als Konzeptpartei verstanden haben. Wenn die Wahl im Nordosten Vorbote für die Bundestagswahl ist, wird diese nicht über die besten Vorschläge für die Bekämpfung der sozialen Ungleichheit, nicht über die Umsetzung der Energiewende, nicht über die Agrarkrise und nicht über Deutschlands Rolle in Europa entschieden, sondern nur darüber, wie sehr sich Angst, Misstrauen und Wut Bahn brechen. Wir müssen feststellen, dass unsere Themen nicht im Mittelpunkt stehen und auch in Mecklenburg-Vorpommern nicht im Mittelpunkt standen.
Das ist der pessimistische, frustrierte Blick, geprägt vom Wahlabend, der noch zu frisch ist für eine tiefe Analyse und zu verstörend für ein „Weiter so.“ Natürlich ist Selbstkritik in der Politik nicht immer angesagt. Aber etwas sagt uns dieser Abend schon jetzt: Wir Grünen sollten nicht die Augen davor verschließen, dass uns bei Integration, Flucht und Asyl, bei Europa und selbst der Energiewende der Wind ins Gesicht weht. Ja, wir haben 13 Prozent in den Umfragen, und ja, Mecklenburg-Vorpommern ist ein Land mit besonderen Ausgangsbedingungen. Aber bis auf in Baden-Württemberg haben wir in den letzten Wahlen immer verloren. Und die 13 Prozent sind eine geliehene Stärke aus Baden-Württemberg. Die Frage ist, ob wir uns darauf verlassen und darauf bauen.
Bei den großen Themen: Wie organisieren wir Integration, Einwanderung und Asyl?
Wie halten wir Europa zusammen?
Wie tragen wir dazu bei, dass die Gesellschaft sich nicht in Angst verliert?
dringen wir trotz guter Detailantworten nicht durch.
Man traut uns bei diesen Punkten Relevanz offenbar nicht zu. Dabei haben wir Skizzen für ein Einwanderungsgesetz, das das Asylsystem entlastet und über ein Punktesystem Menschen aus dem Ausland eine faire Chance gibt. Dabei bekennen wir uns zu schnellen – und zugleich fairen – Asylverfahren und wollen die EU-Außengrenzen sichern, wollen Investitionen für Europa statt Austeriätspolitik, wir entwickeln Garantiemodelle für die Rente, die die Würde unabhängig vom Erwerbseinkommen im Alter sichert. Aber der Erfolg bleibt aus. Woran liegt das?
Es liegt dran, dass Wahlen gar nicht mehr über die Güte der Konzepte entschieden werden, sondern über das Vertrauen in die Politik. Und wir müssen erkennen, dass auch uns als Grünen das Misstrauen gilt, dass Politik als ein Elite-Projekt wahrgenommen wird und wir entsprechend als Elite-Politiker. „Die Firma“, wie der Spiegel mal schrieb.
Es geht in dieser Phase der deutschen Demokratie nicht um „politische Mehrheiten“ – welche Partei muss was tun, um in welcher Farbkonstellation zu regieren? Sondern es geht um „gesellschaftliche Mehrheiten“. Gesellschaftliche Mehrheiten zu erlangen und zu behaupten ist viel schwerer als nur „politische“. Es fordert uns mehr. Es fordert einen Blick für das Gesamte – und dazu gehört auch das, was man erstmal doof oder falsch findet, und es fordert eine gewisse Kompromissfähigkeit. Es fordert, anders politisch zu werden, sich nicht in den vielen kleinen Debatten zu zermürben, sondern Kraft für die großen aufzuwenden. Es erfordert, dass wir nicht mehr nur für unser Milieu Politik machen, sondern darauf zielen, Mehrheiten und gesellschaftliche Bündnisse zu schmieden, die größer sind als unsere Wählerschaft.
Nach der Baden-Württemberg-Wahl haben wir uns alle versichert, dass wir in vielen Bereichen schon mehrheitsfähig sind, dass wir nicht mehr zu der Gesellschaft sprechen, sondern für sie. Und was ist daraus geworden? Agieren wir als eine neue Formation? Haben wir die neue Haltung, vermittelnd, nicht belehrend, „nah bei de Leud“ gezeigt? Ich sehe das nicht. Ich sehe Gruppen und Grüppchen, die sich über Vermögensteuer und Erbschaftssteuer oder Ceta streiten. Wir können nicht führen, wenn wir selbst kopflos sind. Wir dürfen keinen grünen Nischenwahlkapf führen. Wir müssen das Gefühl der Angst ernst nehmen, ohne ihm nachzugeben. Wir müssen wieder Mut zu Visionen haben, um die Diskussion über Alternativen nicht der AfD zu überlassen.
Konkret heißt das, dass wir immer verlieren werden, wenn wir einen Anti-AfD-Wahlkampf führen und nicht einen für Demokratie und Gesellschaft. Das aber setzt eben voraus, dass wir für die Gesellschaft sprechen wollen. Um Mehrheiten herzustellen, müssen wir anschließen an dem Gründungsimpuls der Grünen, gesellschaftliche Bewegung zu mobilisieren. Aber nicht wie früher, als eine Protestpartei gegen Staat und Schweinesystem. Wir streiten für das liberale entspannte, freundliche Deutschland. Wir müssen eine Bewegung von Innen heraus auslösen, eine Lust zur Freiheit, zu Fairness, zu Demokratie, die mitreißt.
Wir müssen raus aus dem Frust und der Ratslosigkeit. Wir müssen eine neue Phase der Grünen einleiten.