Ein doppeltes Aber und ein Plakatspruch

Für mein Veranstaltungsplakat im Wahlkampf brauchten wir einen Spruch – einen Claim, wie man auf Platt sagt. Wir setzten an dem Schlachtruf aus der Urwahl-Kampagne an: „Es ist unsere Zeit“, wir suchten nach dem, worum es bei den Veranstaltungen gehen sollte, wir warfen uns die Bälle zu – „Schnack mit Robert“, „Robert hat Zeit“ (Nein, das klingt nach Rentner), – spielten mit Bildern und Alliterationen und dann hatten wir es: „Zeit zu reden.“ Das gefiel uns allen spontan gut.

Bis das Aber kam. Sehnten sich die Menschen nicht eher danach, dass gehandelt werde? Es ist doch schon so viel geredet worden. Jetzt gilt: nicht lang schnacken, machen! Arbeitskreise, Geschäftsordnungsfindungskommissionen, Tagesordnungspunkte 1 bis 227 d, einklagbare Abstimmungsregularien, verdammt noch mal, das nervt, kann man nicht mal zu Potte kommen? Es ist kein Rede-Problem, sondern ein Umsetzungsproblem. Also: Zeit zu Handeln. Titel verworfen.

Das zweite Aber: Trumps Verachtung, Trumps Handeln

Aber so ganz verwerfen konnte ich das „Zeit zu reden“ nicht. Vor meinem inneren Ohr höre ich immer wieder Trump: “all talk, no action“, Worte, die er aus dem geschürzten Mund ausstößt, wie zu lang gekautes Kaugummi. Und die Nachrichten überschlugen sich, das Handelsabkommen TTP aufgekündigt, den Sicherheitsapparat mal eben umgebaut, ein Bann für Menschen aus muslimischen Ländern verhängt (nur durch Gerichte vorläufig gestoppt), die amerikanische Unabhängigkeitserklärung mit Füßen getreten, tausende Menschen und Behörden in Chaos gestürzt, den IS zum Jubeln gebracht, die Nationale Sicherheit gefährdet, und wahrscheinlich den Beginn einer Verfassungskrise verursacht.

Dafür zollte Bayerns Horst Seehofer Trump Respekt. Der zieht was durch, kein Arbeitskreis, keine Umsetzungsgruppe, läuft. All action, no talk. Endlich. Wort und Tat werden eins.

Wer Reden verächtlich macht, verachtet, was die Gesellschaft zusammenhält

Aber: Politisches Handeln ohne zu reden steht am Anfang einer Diktatur. Wer das Reden verächtlich macht, verachtet das, was eine Gesellschaft zusammenhält, der verachtet, was die Grundlage für eine funktionierende Demokratie ist: der friedliche Interessenausgleich. Wir müssen erst verhandeln, um dann zu handeln.

Untrennbar verbunden mit Reden ist das, was Trump, Rechtpopulisten und Rechtsstaatverächtern abgeht: zuhören und denken.

Wir müssen jenen, die anders denken als wir, jenen, die andere Argumente haben als wir, jenen, die meinen, die Zeit sei gegen sie, und jenen, die sich als Verlierer wähnen, zuhören. Das abfällige „all talk“ ist ein Hohn auf die Nicht-Gehörten.

Und wir müssen denken, um die Argumente zu gewichten, um Wege zu suchen, um das, was nicht zusammenpasst, was sich unversöhnlich gegenübersteht, irgendwie zusammenzufügen.

Verhandeln ist Voraussetzung fürs Handeln

Reden: das heißt eben nicht, keine Entscheidungen zu treffen. Wir haben in Schleswig-Holstein den Netzausbau so schnell und gut voranbringen können, den Muschelfrieden nach jahrelangen Konflikten schließen können, die Tierschutzprobleme angepackt, als einziges Ostseeland relevanten Schweinswalschutz geschaffen, weil wir geredet haben.

Reden ist die Voraussetzung für Entscheidungen, es schafft die Grundlagen für die Akzeptanz, für die Dauer von Entscheidungen – und es ist die Sprache der Entscheidungen. Wer ohne zu reden Macht nutzt und ein Land zu seinem erklärt, verliert, wenn er die Macht verliert. Reden ist der Stoff der friedlichen Demokratie.

Ich habe gezögert, dies aufzuschreiben, es scheint ja so banal – so alltäglich, so gewöhnlich. Aber das Erschreckende ist gerade, dass es genau das nicht mehr ist: selbstverständlich. Deshalb dieses brennende Plädoyer fürs Reden:

Die Plakate gehen bald in den Druck, dann wird es Zeit zu reden.

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