Es liegen elend anstrengende Wochen zäher Verhandlungen hinter uns – und ein BDK vor uns, die eigentlich anders gedacht war: Wir wollten über die Ergebnisse von Sondierungen und die Frage einer künftigen Regierungsbeteiligung reden, debattieren, streiten, ringen – eine grüne Basis-Debatte at its best. Und jetzt? GroKo 3.0, Neuwahl, Minderheitsregierung?
Bis an die Grenzen und darüber hinaus
Die letzten Wochen waren zermürbend und Kräfte zehrend. Nicht nur für die Sondierer und all die Leute drum herum, die Papiere vorbereitet und Argumentationen geschärft, die zig Telefonkonferenzen organisiert, Terminpläne koordiniert und wieder umgeschmissen und wieder neu koordiniert haben – ja, sie alle haben wenig Schlaf bekommen und liefen dafür mit einer ordentlichen Bürde auf dem Rücken herum, nämlich der Verantwortung. Aber nicht nur das: Die letzten Wochen haben uns als gesamte Partei gefordert. Sie haben uns an unsere Grenzen geführt, und wir haben auch manchmal darüber hinaus schauen müssen.
Schon der Ausgang der Bundestagswahl, den keiner so geplant und gewünscht hatte, war die erste Grenze: Wie rau war der Ton vor allem zwischen CSU und uns, FDP und uns im Wahlkampf und den Jahren davor? Wie groß die Gegensätze von Anfang an, wie viel Misstrauen war schon da …. Und trotzdem haben wir nicht gesagt: Leute, das wird eh nichts, sondern wir haben es ernsthaft versucht. Deshalb, weil das Land eine Regierung braucht.
Wo ist der Punkt, an dem es kippt?
Und dann kamen wir nahezu täglich – und nächtlich – an weitere Grenzen: Wir wissen gut, dass wir 20 Kohlekraftwerke sofort rausnehmen müssten, damit Deutschland seinen Beitrag für den Klimaschutz leisten kann – also zehn Gigawatt. Können wir uns aber auf 7 Gigawatt einlassen, wissend, dass es verdammt noch mal nicht reicht? Oder müssen wir uns – um des lieben Friedens und einer Regierung Willen, auf zwei oder drei runterhandeln?
Wo ist der Punkt, an dem es kippt? Wo liegt die Grenze zwischen hier: Verantwortung tragen, um den – aus unserer Sicht – richtigen Weg einzuschlagen – und da: dem Ermöglichen von etwas, das am Ende unverantwortlich ist? Wo geht es ums Regieren zum Gestalten, und wo nur ums Regieren um des Regierens Willen? Gibt es ein richtiges Leben im falschen und wann wird es nur falsch?
Die Wochen haben unsere Positionen geschärft
So elend und fordernd diese Momente waren, so haben sie uns doch – gezwungenermaßen –an die Frage geführt: Wer sind wir eigentlich? Wofür stehen wir? Und es ist etwas Erstaunliches passiert: Wir haben unsere Positionen geschärft und vom Duktus der engen Parteipolitik befreit. Wir haben bewiesen, dass sie Ideen sind, aus denen man Wirklichkeit schmieden kann.
So beim Kohleausstieg, bei dem wir beweisen mussten, dass und wie die Versorgungsicherheit gewährleistet werden kann. Dass also unsere Energiepolitik aufgeht. Oder dass – ja es ist das schwerste und schwierigste Thema gewesen – es uns bei Flucht und Migration vor allem um die konkrete Humanität in einem geordneten Rahmen geht. Oder dass eine andere Agrarpolitik mit mehr Tierschutz eben auch den Bauern dient.
Bereitschaft, auf verschiedenen Wegen zum Ziel zu kommen
Nicht das Festhalten an Jahreszahlen machte uns attraktiv und schuf Akzeptanz, sondern die Bereitschaft, verschiedene Wege zum Ziel gehen zu können. Und: Bei den Sondierungen waren wir immer dann erfolgreich, wenn wir uns auch in die Position der anderen eingedacht hatten. Wir konnten in der Agrarpolitik Tierschutz nicht durchsetzen, indem wir die Zustände in manchen Ställen beschrieben. Aber als wir von der Achtung für die Bauern, dem Respekt für ihre Arbeit her argumentierten, da ging es dann.
Sich gegenseitig aus der Patsche hauen
Diese Achtung vor der Position des anderen hat uns stark gemacht. Unter dem Druck der Wirklichkeit entwickelte sich im Sondierungsteam eine eigene Dynamik. Klarheit, Hartnäckigkeit und die Bereitschaft, auch nein zu sagen, waren nötig, um weiterzukommen. Und so wuchs Vertrauen und Solidarität. Wir haben uns gegenseitig aus der Patsche gehauen. Wir lernten voneinander. Biographische Wunden heilten.
Es entstand, was in all den Jahren zuvor selten war: Wir waren geschlossen! Aus dem Sondiererteam mit seinen Gegensätzen ist eine verschworene Gemeinschaft gewachsen: Kretsch bedankt sich bei Jürgen, weil er etwas gelernt hat. Jürgen gibt Kretsch Recht, wenn dieser von Verantwortung redet. Claudia und Reinhard schreiben gemeinsam Texte. Toni und ich argumentieren fast wortgleich…. Und alle haben ein feines Gespür für die anderen. Das ist wertvoll. Und wir haben bewiesen, dass wir die prägende progressive Kraft sind, gesellschaftliche Orientierung gebend, eigenständig, selbstbewusst!
Nur zuschauen, was andere machen? – Nervt
Diese Wochen haben also etwas mit uns gemacht. Aber sie endeten in einer Enttäuschung. Ich dachte eben, wir kämen an mit einem Paket, über das wir – zu Recht – streiten müssen, uns an Einzelpunkten reiben, um uns dann genau der Frage zu stellen: Ist es geeignet, Verantwortung zu übernehmen, um sinnvoll, mutig und gut gestalten zu können? Aber bevor wir entscheiden konnten, gelingt uns ein richtiges Leben im falschen, hat jemand anderes schon entschieden: nämlich lieber nichts zu wagen.
Wie enttäuscht und wütend ich war, habe ich ja auch gleich rausposaunt, und ich könnte damit auch gut weitermachen. Aber: Was schert uns die FDP?
Klar, wir waren dicht dran, aktiv und konkret die Bedingungen der Wirklichkeit zu verändern. Und das war eine gute Erfahrung. Und jetzt wieder nur zuschauen zu müssen, wie sich andere entscheiden, ist dagegen erst mal Ohnmacht. Die Entscheidung liegt jetzt nicht mehr bei uns – das nervt. Aber bei uns liegt, was wir daraus machen.
Es liegt also an uns: Erwachte Stärke
In den letzten Wochen ist unserer Stärke erwacht. Wir haben die Flügel aufgeschlagen, um loszufliegen. Dann kam ein Gewitter, wir müssen den Kurs ändern. Aber fliegen wollen und können wir. Mit gemeinsamer Kraft. Es ist ja bekannt, dass ich es mit den Flügeleien nicht so hab. Aber wenn sie zu etwas da sind, dann zu dem, was wir in den letzten Wochen gesehen haben: Im Sondierungsteam – und immer mitgedacht die Helfer drum herum – war es egal, wer in welchem Flügel ist, Hauptsache, wir verleihen uns gegenseitig Stärke. Die Stärke erwuchs dann, wenn wir uns nicht einen Rhythmus haben aufzwingen lassen, sondern wenn wir den Takt vorgegeben haben.
Diese neue Kraft müssen wir nutzen. Das gilt, wenn es doch eine GroKo gibt und wir in der Opposition landen. Und genauso für den Fall von Neuwahlen. Sollten sie kommen, können wir selbstbewusst reingehen. Sicherlich, es würde und müsste im Frühjahr 18 ein anderer Wahlkampf sein als im Sommer 17. Nicht nur, weil die Welt sich weiter dreht, sich die politische Lage ändert, sondern eben auch, weil wir etwas Neues in uns gefunden haben. Und darauf können wir aufbauen und es in das Beste verwandeln, was unsere Partei zu bieten hat.
Wir sind politisch jetzt auf hoher See, mitten im Sturm: Aber davor muss uns nicht bange sein. Wir sind ja Wetter erprobt.