Unentschieden. In Österreich wurde nach Brexit und Trump der Durchmarsch der Populisten gestoppt. In Italien nicht. Wobei Italien über eine im Detail kritische Verfassungsreform abstimmte, nicht über Europa. Aber der Rücktritt von Ministerpräsident Matteo Renzis destabilisiert Europa in einer ohnehin wackeligen Phase.
Die Frage ist, welche Rolle wir Grünen in dieser Phase spielen können. Und sollten. Alexander van der Bellens Wahlsieg bei der Präsidentenwahl in Österreich gibt einen Hinweis. Es ist ein Grüner, hinter dem sich die pro-europäischen Kräfte gesammelt haben, es ist ein Grüner, der die liberale Demokratie gegen den Rechtspopulismus verkörpert. Es ist ein Grüner, der „Mitte“, „Vernunft“ und „Ansehen“ für sich reklamiert. Es ist ein Grüner, der als Parteiloser antrat und dadurch Parteigeschichte schrieb.
Ähnlich wie Winfried Kretschmann schließt ein Grüner die Lücke, die die alten Volksparteien, CDU und SPD, respektive ihre österreichischen Schwestern, nicht mehr schießen können. Das ist das Signal, dass es die Zeit für grüne Politik sein müsste – eigentlich.
Wir haben eine Schlüsselposition– eigentlich
Es ist grünes Programm, der Vielfalt der Gesellschaft in Ethnie und Religion, in Lebensstilen und Lebenswünschen nicht nur Raum zu geben, sondern auch Halt. Es ist grünes Programm, diesen Halt zu verstärken durch internationale Kooperation, durch ein immer besser werdendes Europa, durch die Vereinten Nationen und Diplomatie als Werkzeug der Politik. Es ist grünes Programm, ein Land nicht als Nationalstaat einsam, losgelöst durch die Weltgeschichte trudeln zu lassen, sondern ihm durch Einbindung Stärke zu geben.
Und es ist unsere DNA, für die Konflikte dieser Welt, die wir ja inzwischen bis in unseren Alltag hinein spüren, nach Lösungen zu suchen, die über den Tag hinaus dauern. Dazu gehört zwingend die Entkoppelung von Wohlstand und Ressourcenverbrauch, die Frage von Zugang zu Essen und Energie, eine Außen- und Sicherheitspolitik, die die materiellen Konflikte mit einbezieht.
Unser Angebot ist die Alternative zu einheitlichen, identitären Volksgedanken, zum Rückzug, zum Verschanzen hinter nationale Mauern. Wir haben eine Schlüsselposition – eigentlich.
Das galt „eigentlich“ auch für die Bundespräsidentenwahl in Deutschland. Jenseits der großen Koalition wäre eine Mehrheit für eine Bundespräsidentin nur mit den Grünen möglich gewesen wäre. Schade, dass wir sie nicht nutzen konnten. Jetzt setzt die Bundespräsidentenwahl das Zeichen des Weiter-so der großen Koalition. Und obwohl das Dauerbündnis von CDU und SPD in Deutschland nicht ganz so enervierend ist wie in Österreich, es hat keine Bindekraft mehr. Es löst keine demokratische Begeisterung aus.
Aus „eigentlich“ wird echt
Was ist also zu tun, um unsere Schlüsselposition erfolgreich zu nutzen, um das „eigentlich“ in Wirklichkeit zu wandeln?
Unsere Antwort darauf griffe zu kurz, wenn wir allein die radikale Anti-Stimmung versuchten aufzunehmen – nur unter umgekehrten Vorzeichen. Es griffe zu kurz, wenn wir uns primär aus der Rolle der Anti-AFD definierten. Wir sind keine Anti-Parteien-Partei mehr. Und darauf sollten wir stolz sein. Zwischen Protest und Konformität gibt es Drittes. Und das ist Unseres.
Die Stunde des Positiven
Bejahen – das ist das, worauf es hinaus läuft. Wenn Angst und Alternativlosigkeit immer größer werden, wenn Parolen und Propaganda immer lauter werden, dann schlägt die Stunde des Positiven. Gerade dann ist die Zeit, durch eine Politik des Mutes und der Perspektive Menschen an das beste von demokratischer Politik zu erinnern, dass sie auf Vielfalt und Wandel aufbaut und jede und jeder dabei mitmachen kann.
Für Grüne heißt das, sich nicht klein machen, sich nicht anbiedern, sich nicht einpreisen. Es heißt allerdings nicht nur den Status Quo zu verteidigen. Es heißt, eine Veränderung bejahende Politik zu machen und das Gute an ihr herauszustellen. Konkret heißt das, das Garantieversprechen des Sozialstaates mit neuen Grundeinkommenselementen zu erneuern, wie wir das jetzt für Rentner und Kindern beschlossen haben, es heißt Investitionen in die Institutionen des öffentlichen Raumes vorzunehmen, damit er geteilt und erlebt werden kann, es heißt eine Chancen-Politik für Kinder zu entwerfen, damit es Zukunft gibt, neue Wertschöpfung und Jobs durch Erneuerbare Energien zu schaffen, sowie unserer Lebensgrundlagen durch eine andere Lebensmittel-Produktion zu sichern.
Wir Grünen müssen unsere Chance sehen und suchen. Sie besteht darin, unser Programm breit und auch begrifflich in die Tradition der Moderne zu verankern. „Freiheit“, „Solidarität“ oder van der Bellens Beharren auf „Vernunft“ machen Minderheitenpositionen mehrheitsfähig. Nur sind wir dann eben nicht mehr Teil der Gegenaufklärung oder Anti-Moderne.
Kein Unentschieden mehr
Unentschieden, sagt man im Sport, ist nach einer Niederlage das zweitschlechteste Ergebnis. Es ist aber auch nach einem Sieg das zweitbeste. Und das ist keine Frage der Perspektive. Denn ein Gas ist nie halbvoll, noch halbleer. Es ist stets ganz voll – halb voll Wasser und halb voll Luft.
Wir müssen die volle Politik anbieten, für die gesamte Gesellschaft ein Angebot machen, und uns nicht in eine halb-leer Nische abdrängen lassen. Nicht nur im eigenen Milieu müssen wir mehrheitsfähig werden, sondern darüber hinaus, auch bei jenen, die Gründe oder auch nur das Gefühl haben, zu glauben, die Zeit ist gegen sie.