Von Helmen und Gewehren

Der Tag, an dem die veränderte Sicherheitslage für mich greifbar wurde, war nicht Sylvester und die Berichterstattung über Diebe und Grabscher in Köln, noch nicht einmal die Anschläge von Würzburg und München. All das war konkret, besorgte mich, und ich diskutierte danach über Polizei, Sicherheit und Freiheit, über Flüchtlingspolitik, erstarkenden Nationalismus und Angst.

Aber greifbar wurde es am Morgen des 13. September, letzten Dienstag, als drei Syrer in Schleswig-Holstein als Schläfer des IS verhaftet wurden. Ich ging sehr nachdenklich zum Kabinett. Vielleicht war ich den drei Verdächtigen sogar mal beim Besuch von Flüchtlingsunterkünften begegnet? Am Kabinettstisch diskutierten wir – das war ohnehin geplant – darüber, wie wir unsere Polizei besser ausstatten könnten. Dass wir eine Spezialtruppe aufbauen müssten, die das Internet und das Darknet systematischer und stärker überwacht als bisher, war klar. Aber dann ging es darum, wie schusssicher die Einsatzwesten sind, bis zu welchem Kaliber sie Kugeln abwehren können und ob Polizeieinsatzkräfte regelmäßig mit Helmen ausgestattet werden müssten. Wir überlegten, ob die Bewaffnung ausreiche oder ob wir in den Polizeiautos langläufige und großkalibrige Gewehre bräuchten, weil mögliche Gegner Schutzwesten hätten, gegen die die üblichen Pistolen der Polizei wirkungslos blieben. Was also unsere Polizisten bräuchten, um sich gegen Terroristen zu wehren – und diese dafür notfalls auch verletzen oder töten zu können. Da wurden die Begriffe „Gefahrenabwehr“, „Sicherheitslage“ oder „Prävention“ konkret.

Noch vor Wochen hätte ich Diskussionen über Helme oder schwere Feuerwaffen als alberne Aufrüstung abgetan. Aber an diesem Morgen war die Debatte über die Ausrüstung keine über Haushalstitel mehr, sondern über den konkreten Schutz von Menschen. Ob aber mehr und größere Waffen, diesen Schutz automatisch erhöhen, ist nicht gewiss. Tod oder Leben verantworten – das gilt in beide Richtungen.

Regierungsverantwortung bedeutet nicht, zu wissen, wie man Gesetze schreibt oder durch das Parlament bringt, sondern Menschen auch am Tag danach, wenn eine Stromleitung gebaut oder ein Windpark eröffnet ist, noch in die Augen gucken zu können. Und so reden und argumentieren zu müssen, dass man das von vornherein einpreist. Dass man also versuchen muss, immer eine gesellschaftliche Mehrheit zu schaffen.

Dieser Vormittag am Kabinettstisch ging tiefer. Er machte mir unmittelbar klar, dass Regierungsverantwortung auch Verantwortung über Leben retten und Leben nehmen bedeutet. Nicht als abstraktes Wissen, sondern als reale Entscheidung. Und dass es auch da keinen Leitfaden für das Richtige gibt. Unschuldig kommt man aus der Politik nicht raus.

Ich habe die Kabinettssitzung noch nachdenklicher verlassen.

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