Dies ist eine wahre Geschichte. Sie gehört zu dem besten und schönsten, was im letzten Jahr passiert ist. Sie erzählt vom kleinen Glück. Sie erzählt von Menschen, die noch immer für Flüchtlinge da sind, die unermüdlich und hartnäckig Humanität Wirklichkeit werden lassen. Sie erzählt, dass Flüchtlinge Menschen in Not sind, nicht Nummern. Und sie zeigt, dass der Staat funktionierende Strukturen hat, weil es Menschen gibt, die sich kümmern. Nichts wird durch Gleichgültigkeit besser. Wer sich jetzt nicht um das Gemeinwesen kümmert, wird es am Ende verlieren.
Die Geschichte beginnt damit, dass in einer mittelgroßen Stadt in Schleswig-Holstein eine fremde Frau einen kleinen Jungen, der von seiner Mutter begleitet wird, umarmt, herzt und küsst und dann in Tränen ausbricht. Der Junge ist ihrem eigenen Sohn, den sie vor einem Jahr auf der Flucht aus Afghanistan verloren hat, sehr ähnlich. In ihrer Traurigkeit und Verzweiflung gibt es keine Welt mehr für sie.
Ich glaube nicht, dass es ein Schicksal gibt. Wir müssen entscheiden, wie wir auf dieser Welt klarkommen wollen und was wir aus unserem Leben machen. Aber es gibt tausende von kleinen Momenten, die wir zu Schicksalssituationen machen können, wenn wir sie für uns als bedeutsam erkennen. So machte es die Mutter, die zufällig in der mittelgroßen Stadt auf die Afghanin traf, mit diesem Moment. Sie machte ihn zu ihrem Moment.
Sie ließ die Sache nicht auf sich beruhen. Sie griff zum Telefonhörer. Sie recherchierte. Sie fand heraus, dass der Sohn der Afghanin in Schweden war und schon seit vielen Monaten auf die Zusammenführung mit seiner Mutter wartete. Sie bohrte weiter und gelangte irgendwann an eine junge Frau, die im Dienst des Landes Schleswig-Holstein arbeitete. Im Verbund mit einer Mitstreiterin beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge klemmte sich das Trio dahinter, Mutter und Sohn wieder zusammenzubringen.
1000 von Mühen tauchten auf. Der Name des Jungen wurde im Schwedischen anders geschrieben – einfach, weil sich afghanische Namen in lateinischer Schrift unterschiedlich schreiben lassen. Und deshalb fanden die schwedischen und deutschen Behörden den Jungen nicht auf ihren Listen, obwohl es inzwischen einen Whats-App Kontakt zwischen Mutter und Sohn gab. Dann waren die Urkunden, die belegten, dass der Junge wirklich der leibliche Sohn war, auf der Flucht der verloren gegangen.
Aber die drei Frauen ließen nicht locker.
Die Frau aus der mittelgroßen Stadt nahm Kontakt mit Freunden und Kollegen in Schweden auf. Die Beamtinnen fragten immer wieder nach, und beharrten darauf, dass der Sache nachgegangen wurde, bis sich auch die Schwedische Seite des Falls annahm. Am Ende stellte Schweden ein Übernahmeersuchen an Deutschland, und Deutschland stimmte der Überstellung zu.
Letztens war es so weit: Mutter und Sohn konnten sich in die Arme schließen. Und diesmal waren die Tränen Freudentränen.
Die drei Frauen sind Vorbilder – wie es so viele gibt. Die eine steht für all die Menschen, die nicht hinnehmen wollen, dass Menschlichkeit unter die Räder geht. Die beiden anderen stehen für das Engagement von Millionen von Staatsdienern, die dafür sorgen, dass wir uns mit unserem Gemeinwesen gemein machen können. Und sie erinnert mich daran, wie viele gerade im letzten Jahr, als täglich tausende Flüchtlinge ins Land kamen, Ehrenamtliche, aber auch staatliche Institutionen geleistet haben – von der Polizei, über die Bundeswehr bis hin zu Ministerien, Kommunen und Ämtern. Und dass wir starke Institutionen brauchen – nichts haben wir gewonnen, wenn wir sie so zusammensparen, dass die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen keine Zeit mehr haben, sich zu kümmern.
Lasst uns den Mut haben, Momente in der Geschichte zu unseren zu machen.