Tiere sind Lebewesen, keine Rohstoffe

Über Kükenschreddern, das Ende der Käfighaltung, Tierschutz und Töten „aus einem vernünftigen Grund“

In Deutschland werden jährlich an die 50 Millionen männliche Küken durch Gas getötet, wenn sie geschlüpft sind. Und danach werden sie durch den Fleischwolf gedreht. Weil sie männliche Küken sind. Weil männliches Federvieh keine Eier legt. Und weil die Geflügelrassen so hochgezüchtet sind, dass die eierlegenden Rassen und die Fleischrassen völlig getrennt sind.

Hochleistungs-Legehennen legen nicht mehr wie früher 180-200 Eier, sondern 280-300. Nach einem Jahr nimmt die Legeleistung ab, sie werden ebenfalls geschlachtet und enden als Katzenfutter oder in der Hühnersuppe. Mastgeflügel hingegen wird nach 29 Tagen geschlachtet. Dann wiegen die Tiere 1,5 Kilogramm. So kurz ist ein Tierleben. Männliche Küken der Legerassen setzen aber nicht genug Fleisch an. Deshalb werden sie nicht gemästet, sondern vergast und geschreddert. Sie sind in der Logik der industriellen Tierproduktion unbrauchbar.

Diese Praxis wird seit Jahren zu Recht als nicht hinnehmbar kritisiert. Am 13. Juni soll nun ein Gerichtsurteil darüber ergehen, ob diese Praxis rechtens ist. Es ist eine Revisionsentscheidung. 2016 hatte das Oberverwaltungsgericht Münster ein Verbot des Kükenschredderns, verordnet vom früheren grünen NRW-Landwirtschaftsminister Johannes Remmel, aufgehoben. Die Begründung für die Aufhebung war, dass – mangels Alternativen zur bestehenden Praxis – in der Abwägung letztlich der Berufsfreiheit gegenüber dem Tierschutz Vorzug zu geben sei.

Tiere werden der Industrieproduktion angepasst

Das Kükenschreddern ist eines von zahlreichen Beispielen, die zeigen, wie sehr Tiere zum bloßen Rohstoff degradiert sind. Das landwirtschaftliche System ist im Grundsatz darauf getrimmt, möglichst immer mehr für immer weniger Geld zu produzieren. Die Tiere werden den industriellen Produktionsabläufen angepasst: Ferkel bekommen die Schwänze gekürzt oder abgeschnitten, sie werden ohne Betäubung kastriert – und die Große Koalition ändert lieber das Gesetz, das diese Praxis verbietet, als die Praxis selbst. Sauen werden nach der Besamung in so engen Boxen gehalten, dass sie sich nicht ausgestreckt hinlegen, geschweige denn bewegen können, 28 Tage lang. Etwas, das bereits vor Jahren als tierschutzwidrig verurteilt und bis heute von der Landwirtschaftsministerin ebenfalls nicht geändert wurde. Und es ist noch immer zugelassen, dass Rinder über Tage in großer Hitze und engen Tiertransporten quer durch Europa nach Nordafrika oder in die Türkei gekarrt werden.

Dabei besagt das deutsche Tierschutzgesetz: „Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.“ Und: „Wer ein Tier hält, betreut oder zu betreuen hat, muss das Tier seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend angemessen ernähren, pflegen und verhaltensgerecht unterbringen.“

Wann und zu welchen Bedingungen dürfen wir Tiere halten und töten, um sie oder ihre Produkte zu essen? Was ist ein „vernünftiger Grund“, wenn jährlich in Deutschland pro Kopf 55 Kilogramm Lebensmittel weggeworfen und gleichzeitig pro Tag zwei Millionen Tiere geschlachtet werden? Das Fleisch wird dann meist zu Ramschpreisen in den Discountern verkauft.

Was ist ein „vernünftiger Grund“ zum Töten?

Die Verhältnisse stimmen nicht. Je länger ich mich mit dieser Frage auseinander setze, desto schwieriger finde ich eine Antwort, wie diese hochindustrialisierte Tierhaltung zu rechtfertigen ist. „Weil Tiere gut schmecken“, „weil es Tradition ist“, „weil wir es immer so gemacht haben“ (was ja nicht stimmt, weil der Sonntagsbraten so heißt, weil es ihn nur am Sonntag gab), „weil wir eine Exportwirtschaft sind“? Oder die gesunde Ernährung, wenngleich wir doch im Durchschnitt dramatisch viel mehr tierisches Eiweiß aufnehmen als es gesund wäre?

Weltweit betrachtet raubt die immer weiter steigende Fleischproduktion Flächen, auf denen viel effizienter Nahrungsmittel für Menschen als für Tiere, die verzehrt werden sollen, angebaut werden könnten. Mal ganz abgesehen von den Auswirkungen auf Gewässer, Böden und Klima. Das alles ist kein Naturgesetz. Wir können die Bedingungen ändern, zu denen Tiere gehalten werden. Und wenn wir Tiere schon töten, um sie zu essen, dann müssen wir die Bedingungen auch ändern, meine ich. Dabei sollten wir über die kleinen Nuancen der Verbesserung hinausgehen, die durch ein paar Zentimeter mehr Platz hier und ein bisschen mehr Einstreu da möglich sind.

So sollten Tiertransporte von Schlachtrindern in Länder außerhalb Europas untersagt werden. Es sollte EU-weit festgelegt werden, dass der Transportweg zum Schlachthof auf vier Stunden beschränkt wird. Die betäubungslose Ferkelkastration lässt sich verbieten. Sie war es ja eigentlich schon, aber jetzt ist alles wieder aufgeschoben. Und ja, auch das Kükenschreddern lässt sich gesetzlich verbieten. Und muss verboten werden.

Es gibt Alternativen, die im Vergleich zur bisherigen Praxis die mildere Lösung sind. Aber – und das ist zuzugeben – auch diese Alternativen werfen weitere Fragen auf. Bei der Technik, die erlaubt, das Geschlecht noch im Ei zu erkennen, ist nicht völlig auszuschließen, dass die Embryonen Schmerz empfinden. Und ob man einem Hahn ein Leben und Sterben als Masthahn wünschen soll, ist mehr als fraglich …

Tierschutz: Ende der Käfighaltung

Es ist also nicht so, dass mit einem Ende des Kükenschredderns die Probleme der industriellen Tierhaltung erledigt wären. Es braucht weitergehende Antworten. Eine darauf kann die Forderung der Europäischen Bürgerinitiative „End of Cage/Käfighaltung beenden“ sein. Sie setzt sich für besseren Tierschutz ein und verlangt, dass landwirtschaftlich gehaltene Nutztiere nicht mehr in Einzelkäfigen gehalten werden können. Das gilt für Sauen nach der Besamung im Kastenstand, für Kälber, die in Kälberhütten gehalten werden, für Legehennen, Gänse und andere Tiere. Das wäre eine sehr grundlegende Änderung. Aber angesichts dessen, dass die industrielle Tierhaltung – oder eher: Tierproduktion – uns vor fundamentale Fragen stellt, kommen wir um solche grundlegenden Antworten nicht umhin.

Und genauso dringend ist es, die Milliarden europäischer Steuergelder anders auszugeben. Derzeit unterstützen sie nämlich das System von Intensivproduktion – mit öffentlichem Geld. Sie müssen stattdessen so eingesetzt werden, dass Landwirtinnen und Landwirte Einkommensalternativen erhalten. Es sollten jene entlohnt werden, die Leistungen für Umwelt, Tierwohl und Klimaschutz erbringen.

All diese Maßnahmen geben zwar noch keine Antwort auf die große, ethische Frage, was ein „vernünftiger Grund“ zum Töten ist. Aber sie leiten die richtigen Schritte ein. Diese ethische Frage zuzulassen, ist verstörend. Aber es gilt auch umgekehrt. Alles zu lassen, wie es ist, ist ebenfalls ein moralisches Urteil – eines, für das man sich ebenfalls rechtfertigen muss. Und für das die Begründungen weitaus schwerer fallen.

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