Über kleine große Momente einer politischen Sommerreise im Pandemie-Sommer
Es ist ein ungewöhnlicher Sommer, der sich zu Ende neigt: Menschen tragen zur Sommerkleidung Masken, an den Bahnhöfen sieht man große Abstandshinweise, Hygienespender stehen an vielen Orten, dazu Schlagzeilen über Reiserückkehrerinnen und -rückkehrer, verschollene Testergebnisse, steigende Infektionszahlen, Schulen, die nicht lüften können – das sind Eindrücke aus Deutschlands erstem Pandemie-Sommer. Und wir müssen davon ausgehen, dass es nicht der letzte ist.
Dieses Corona-Jahr hat unseren Alltag verändert und ein Schlaglicht auf die Verletzbarkeit der Gesellschaft geworfen. Es ist ein Jahr, in dem die Erkenntnis wachsen müsste, dass Krisen schlimmer werden, wenn man immer nur aus der Situation heraus handelt, auf Sicht fährt. Und dass die eigentliche, große politische Aufgabe Vorausschau und Vorsorge ist.
Dieser Gedanke hat Annalena und mich bei unserer politischen Sommerreise begleitet. Unter dem Titel „zu achten und zu schützen“ haben wir große Firmen, Medikamentenhersteller, Chemiekonzerne, Lebensmittelversorger besucht, die Börse, Energie- und Wasserversorger, Datenknotenpunkte. Immer mit der Frage, wo sind wir verwundbar und was ist für unseren Schutz zu tun?
Das war spannend und lehrreich und ein politischer Auftrag. Entsprechend haben wir uns gestern im Bundesvorstand intensiv damit auseinandergesetzt, was für eine vorausschauende Politik nötig ist. Ein Ziel ist zum Beispiel eine robuste Gesundheitsversorgung; Kliniken sollten dafür in Zukunft nicht nur nach Leistung, sondern auch nach ihrem gesellschaftlichen Auftrag finanziert werden, Pflegeberufe gestärkt werden. Auch in der Wirtschaft, bei der Bildung, beim Schutz vor Hitze und Trockenheit braucht es einen Paradigmenwechsel, weg vom Krisengetriebenen hin zur Vorsorge. Unseren Beschluss mit einer Reihe von konkreten Punkten findet Ihr hier: „Achten und schützen – Für ein krisenfestes Land“.
Was mich dabei antreibt, ist das, was mich vielleicht — jenseits der großen Geschichten — am meisten beeindruckt hat: die Menschen, die mit ihrem Einsatz und ihrer Leidenschaft jeden Tag zu unserem Schutz, unserer Versorgung, unserer Zukunft beitragen.
Mehr als Geld, das Menschen antreibt
Mehrfach besuchte ich Feuerwehren, sowohl die Berufsfeuerwehren als auch die Freiwilligen Feuerwehren. In Hannover wurde mir die Höhenrettung gezeigt, bei der sich die Feuerwehrleute aus schwindelerregender Höhe von einem Kran mit einer Trage abseilen. Ich erfuhr, dass es während des Lockdowns seltener gebrannt hat, vermutlich, weil die Menschen achtsamer waren. Ein bisschen wurde die Feuerwehr zur Metapher dieser Reise und für das politische Projekt, unsere Gesellschaft krisenfester zu machen. So viel Training, so viel Technik, so teure Fahrzeuge — und dennoch hoffen wir, dass sie nicht zum Einsatz kommen. Niemand würde auf die Idee kommen, sie abzuschaffen, weil es in den letzten sechs Monaten nicht oder weniger gebrannt hat und sich die Feuerwehr deshalb doch nicht rechnen würde.
Die Freiwilligen Feuerwehren brechen aber auch in einer anderen Hinsicht mit dem Prinzip des „Alles-muss-sich-Rechnen“. Ökonomisch gesehen ist das Ehrenamt ja nicht vernünftig. Wenn es wahr ist, dass Leistung sich immer lohnen muss und mit Lohn Geld gemeint ist, dann sind all die Sporttrainer*innen, Flüchtlingshelfer*innen, die Menschen in den Kulturkreis- oder Maifest-Ausschüssen oder eben die Ehrenamtlichen in der Freiwilligen Feuerwehr unvernünftig.
Dennoch stellen sich so viele Menschen in den Dienst der Gesellschaft. Es muss also mehr geben als Geld, das Menschen antreibt. Und das fand ich in so vielen Momenten der Sommerreise, die zwischen all den Informationen und Dingen die Menschen aufscheinen ließ.
Feuerwehrmann, also bin ich
Der Feuerwehrchef in Uetersen erzählte beispielsweise von einer neuen Kultur, in der auch über Ängste und schlimme Erlebnisse im Einsatz gesprochen wird. Sein Kollege berichtete, dass er – coronabedingt – vor allem die Kameradschaft nach einem Einsatz vermissen würde, noch einmal beisammen sein, nachdem man zusammen eine Gefahr abgewendet hat. Er war seit der Jugendfeuerwehr dabei. Er definierte sich als Feuerwehrmann, nicht im Sinn von „das mach ich auch“ oder „mein Hobby nebenbei ist“, sondern im vollen Wortsinn von „Ich bin Feuerwehrmann“, also „als Feuerwehrmann bin ich“.
Bei BASF in Ludwigshafen, zwischen Kilometern von Rohrleitungen, präsentierte mir ein junger Ingenieur seine Forschungen an einer speziellen Methode der Wasserstoffherstellung. Nach Jahren der Forschung ging sie jetzt in die Jahre der Testphase. Es würde noch lange dauern, er sprach von einem Jahrzehnt, bis es tatsächlich zur Mengenproduktion kommen würde. Trotzdem strahlte er, als wäre morgen der große Einweihungstag. Es war sein Projekt.
Bei verschiedenen Krankenhausbesuchen sprach ich mit den Pflegekräften, die alle auch immer Punkte ansprachen, die nicht gut liefen – Überstunden, keine Zeit für Fortbildung, unbesetzte Stellen, die Zurücknahme der versprochenen Corona-Pauschale. Aber immer wieder hörte ich: „Ich kann Menschen helfen, etwas für sie tun, das ist eine echte Belohnung.“ (Niemand hat gesagt: „Das ist mir Lohn genug“. Im Gegenteil, den Pflegeberuf attraktiv zu machen, auch finanziell, das wollten sie alle, zurecht).
In Freiburg führte mir das Technische Hilfswerk seine Arbeit vor. Die hauptamtlichen und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter berichteten über die Anforderungen der Güterlogistik während der Pandemie. Ein junger Mann absolvierte den Bundesfreiwilligendienst beim THW und berichtete von den Problemen der Bufdis. Wenn man auf dem Dorf wohnt, muss man täglich pendeln und braucht ein Auto. Das Taschengeld ist so gering, dass man sich davon kein Zimmer oder gar eine Wohnung mieten kann und man bei seinen Eltern wohnen bleiben muss (oder die Eltern haben genug Geld, um ihren Kindern den Dienst zu finanzieren). Seine Freunde, die eine Lehre absolvieren oder studieren, schütteln den Kopf, weil sie Party machen, während er Dienst schiebt. Trotzdem – oder deshalb – strahlte er eines aus: Stolz, THWler zu sein. Lauter Menschen, die erfüllt waren, weil sie das tun, was sie tun. Die eins waren mit sich. Und die andere mit ihrer Begeisterung, ihrer Leidenschaft anstecken.
Oase für wilde Kindheit
Das war auch abseits der der großen Routen, vor meiner eigenen Haustür, zu spüren. Der Verein Villekulla (benannt nach Pipi-Langstrumpfs Haus Villa Kunterbunt, Villekulla auf Schwedisch) hat vor den Toren Flensburgs auf ein paar Hektar Pachtland einen Gemüsegarten angelegt. Aber nicht nur das. Es ist eine Oase für wilde Kindheit geworden, mit offener Küche, Brotofen, Kompostklo, Eimerdusche. Ziel ist, Kindern Zugang zu gesunder Ernährung zu verschaffen. Klassen können hier Gemüse ernten oder Getreide mahlen, Beete anlegen, Marmelade kochen, Brot backen. Aber natürlich vor allem eintauchen in ein Leben ganz nah an der Natur.
Es ist eigentlich die ideale Ergänzung für Schulen — sowieso und während der Corona-Zeit allemal. Draußen an der Luft, viel Platz, erfahrungsintensiv. Die Nachfrage der Schulen ist zwar hoch, aber zur Finanzierung des Projekts müssen die Kinder einen Unkostenbeitrag zahlen. Das führt immer wieder zu Debatten. Ich verstehe ehrlich gesagt nicht, warum in diesen Wochen und Monaten Projekte wie dieses, von dem es sicher ähnliche überall in Deutschland gibt, nicht fester Bestandteil des schulischen Angebots geworden sind, warum die Bildungsministerien sie nicht zum Teil der Bildungsinfrastruktur machen.
Lässige Leidenschaft
Am Nachmittag war ich in dem kleinen Dorf Wanderup und besuchte den Gärtnerhof dort, auf dem Solidarische Landwirtschaft betrieben wird. Judith und Hendrik haben über die letzten Jahre einen Gemüseanbau entwickelt, der auf kleinstem Raum reichhaltigste Ernte bringt, und das nicht nur nach streng ökologischen Anbaukriterien, sondern kleinteilig und Ressourcen schonend . Es duftete nach Zwiebeln, die gerade geerntet waren, und die Tomaten prangten prachtvoll. Aber es sah auch krass nach knochenharter Arbeit aus, denn dort wird das Unkraut zwischen den Salatköpfen mit der Hand gejätet und der Kompost zur Düngung selbst gemacht. Aber der Hof hat sich entwickelt, das Prinzip der Solidarischen Landwirtschaft, bei dem die Mitglieder den Hof finanzieren und im Gegenzug den Ertrag der Arbeit bekommen, funktioniert. Vor allem habe ich selten zwei Menschen getroffen, die so voller Überzeugung sind, mit ihrer harten Arbeit exakt das zu tun, was sie tun wollen, die eins waren mit ihrer Arbeit und ihrem Leben.
Den Alltag besser machen
Das machte diese Reise zu einer besonderen: Menschen zu treffen, die nicht nur, in dem was sie tun, gut sind und professionell, sondern die einen inspirieren und begeistern, die wie sie selbst voller Leidenschaft sind. Und Projekte kennenzulernen, die aus dem Alltag fallen, die den Alltag besser machen.
Als ich aus Wanderup zurückfuhr, dachte ich irgendwie, ob das nicht das eigentliche Ding ist, ob ich nicht Judith und Hendrik oder die Villekulla fragen sollte, ob ich da mitarbeiten könnte. Aber als ich zuhause ankam, wusste ich, dass dieser Tag und die Sommerreise mir was anderes sagen wollten. Nicht die Arbeit an sich ist gut oder schlecht, sondern die Leidenschaft dieser Leute macht sie zu einer besonderen. Ich nahm mir vor, mir das für die Politik zu merken.