Auf Listen rechter Verbrecherorganisationen stehen über 25.000 Menschen. Menschen, die wie ich dem Artikel „Rechts vernetzt“ der Welt am Sonntag von letzter Woche entnehmen konnte, im Fall eines rechten Putsches am sogenannten „Tag X“ zusammengetrieben und ermordet werden sollten. Auf einer solchen Liste stand auch der mutmaßlich von einem Neonazi ermordete Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke. Keiner weiß bis jetzt, wer diese Listen angelegt hat und ob es ein rechtes Terrornetz in Deutschland gibt, das sich an ihnen orientiert.
Das Bundesinnenministerium überließ es den Landespolizeiämtern, Betroffene zu informieren. Das geschah bisher in Mecklenburg-Vorpommern. Dort wurde das Haus von Marco G. von einem Sondereinsatzkommando gestürmt. Man fand 40.000 Schuss Munition. Marco G. ist ein ausgebildeter Elitesoldat und Teil eines bundesweiten Netzwerkes, das sich für den „Tag X“ vorbereitet. Heißt: Die sich bewaffnen, um selbst die Macht zu übernehmen. Daraufhin stufte die Landespolizei die Gefährdungssituation als so relevant ein, dass sie einige Menschen darüber informierte, dass sie auf solchen Listen stehen. Darunter waren auch Parteimitglieder der Grünen, die sich an uns wandten – häufig völlig ratlos und hilflos.
Ein Blick in die Angst
Nur die Polizeibehörden wissen derzeit, wer auf diesen Listen steht. Menschen, die sich in Kirchen oder in der Flüchtlingshilfe engagiert haben, Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker, Journalistinnen und Blogger – alles ist möglich.
Wenn man sich das einmal vorstellt: Wie wäre es für einen selbst, wenn die Polizei anrufen und mitteilen würde, dass man auf einer Liste steht, die von schwer bewaffneten, extrem gut ausgebildeten Schützen angelegt wurde. Es ist der Blick in die Angst. Was soll man tun? Sein Haus einzäunen, die Wohnung nicht mehr verlassen, sich einen Hund anschaffen, auswandern? Ein Gefühl von Hilflosigkeit. Diejenigen, die auf den Listen stehen, suchen Rat und stehen vor der Frage: Leben in Angst oder Verdrängen? Es ist eine schlimme Frage.
Und es sind gerade jene betroffen, die diesen Staat jeden Tag am Laufen halten: Kommunalpolitikerinnen verschiedener Parteien, die in ihren Dörfern, Städten und Kreisen die Dinge in die Hand nehmen, aus Verantwortung für den Zusammenhalt. Menschen, wie Walter Lübcke, wie Tausende andere. Menschen, die sich jeden Tag einbringen, die Gegenwind bekommen, sich aber den Debatten stellen, die Lösungen suchen.
Ein nationalsozialistischer Untergrund 2.0?
Politisch zielt die Angst auf das Herz der Demokratie: nämlich das Vertrauen in die Institutionen des Staates. Und dieses Vertrauen ist gefährdet, wenn der Eindruck entsteht, dass unsere Behörden nicht genau wissen, was sich da zusammengebraut hat. Dass nicht klar ist, ob es einen Nationalsozialistischen Untergrund 2.0 gibt und wie dieser möglicherweise funktioniert. Und noch gefährlicher ist es, wenn es innerhalb der Sicherheitsbehörden rechtsextreme Umtriebe geben sollte. Es darf keine Zweifel daran geben, dass staatliche Behörden fest auf dem Boden der Verfassung stehen. Das ist übrigens auch im Sinne der vielen, vielen Polizistinnen und Polizisten, die dafür einstehen, dass die Gesetze in unserem demokratischen Gemeinwesen eingehalten werden.
Die Sicherheitsbehörden müssen rechtsextreme und rechtsterroristische Strukturen umfassend durchleuchten. Dafür sollte der Bundesinnenminister eine Task Force schaffen. Und eine Anlaufstelle für all jene, die auf Listen stehen. Sie brauchen Unterstützung.
Internet ist keine Traumwelt
Eine Instanz der Demokratie ist die Sprache. Sie schafft die Welt, in der wir leben. Die Verrohung der letzten Jahre ist keine Entgleisung. Gezielt wurde ein völkisch-totalitäres Weltbild entworfen. Eines, das ausmerzen will, was nicht reinpasst. Solch eine Sprache beendet den demokratischen Streit. Und sie breitet sich im Internet aus und verändert unsere Wirklichkeit. Das Internet ist keine Traumwelt, die nichts mit der Welt zu tun hat – das Agieren dort hat echte Konsequenzen. Das Handeln im Netz ist nicht virtuell; dort werden Straftaten vorbereitet und begangen. Das Netz ist real. Und die Sicherheitsbehörden müssen in die Lage versetzt werden, auch dort intensiv zu ermitteln, damit sie das Gewaltmonopol des Staates verteidigen können.
Vertrauen ist Voraussetzung für Demokratie, aber eine Voraussetzung, die die Demokratie selbst nicht garantieren kann. Demokratie verlangt permanente Arbeit. Sie muss ihre Handlungsfähigkeit immer wieder neu beweisen. Dazu gehören die Aufklärung von Straftaten und die rechtsstaatliche Verfolgung derer, die das Gewaltmonopol des Staates in Frage stellen. Und es bedeutet, entschieden zu widersprechen, wenn Sprache Gewalt vorbereitet oder aus ihr Gewalt wird.