Beobachtungen von den Besuchen bei der Polizei
Es ist noch nicht früher Morgen, aber die Polizistin und der Polizist aus dem 4. Revier, die Streifendienst haben, wirken im wörtlichen Sinn ausgeschlafen. Auf den Bürgersteigen liegen Abhängige mit von Drogen gemarterten Körpern. Eine Frau sitzt im Rollstuhl. Die junge Polizistin grüßt sie freundlich. Ich kann nicht erkennen, ob die Frau im Rollstuhl sie erkennt. Aber die Polizistin kennt ihre Lebensgeschichte. Sie war Model, sogar ein sehr erfolgreiches. Dann wurde sie drogenabhängig, taumelte im Rausch vor eine Straßenbahn, verlor ein Bein und einen Arm und stürzte ab. Mitleid und Verständnis klingen mit, als die Polizistin das erzählt.
Szenen und Perspektiven
Es sind diese und viele andere Szenen, die mir aus den letzten Tagen im Gedächtnis geblieben sind. Ich war an verschiedenen Orten im Land mit Polizistinnen und Polizisten unterwegs, habe gefragt, zugehört, beobachtet. Dabei ging es mir darum, ein tieferes Verständnis zu erlangen von der Arbeit und dem Alltag jener Menschen, die von Berufs wegen täglich für die Innere Sicherheit in diesem Land sorgen sollen. Und die im Jahr 2019 im Fokus der Debatte stehen, die die Schlagzeilen lesen über Polizeigewalt, rechtsradikales Gedankengut innerhalb der Sicherheitsbehörden und wissen, damit ist mein Berufsstand gemeint. Natürlich erlangt man nicht an wenigen Tagen ebenso mal ein tiefes Verständnis, ich weiß nicht, wie es sich wirklich anfühlt, Polizist zu sein. Aber vielleicht habe ich die Spur des Hauchs eines Eindrucks bekommen. Und ich konnte die heiklen politischen Probleme ansprechen.
Die junge Polizistin zum Beispiel, die an in diesen Morgenstunden mit der Frau im Rollstuhl spricht, wird auf Streife regelmäßig sexistisch angemacht. Manchmal bekommt sie einen Heiratsantrag, öfter einfach nur wüste Beschimpfungen mit „F“ zu hören. Ähnlich die Kollegin, die mich zuvor mit ihrem Kollegen durch das erste Revier in Frankfurt mitgenommen hat.
Als sie und ihr Kollege gerufen werden, weil ein Obdachloser sein großes Geschäft vor einer Bank erledigt hat, besorgt sie Papier und bittet ihn höflich, aber bestimmt, es selbst zu beseitigen und sagt ihm, wo er überall sein Geschäft erledigen kann. Als ein alter Mann, der wohl längere Zeit nicht geduscht hat und nur Portugiesisch spricht, mit blutendem Bein vor den Toiletten an der Konstablerwache liegt, hält ihr Kollege freundlich die Gaffer auf Abstand, damit der alte Mann verarztet werden kann, ohne den neugierigen, ja sensationssuchenden Blicken ausgeliefert zu sein. Als sie einen mutmaßlichen Straftäter festhalten, seine Personalien überprüfen, aber er nicht der Gesuchte ist, erklären sie den Vorgang nochmal ruhig und entschuldigen sich höflich.
Und dann ist da der Polizist einer operativen Einheit, der in Zivil arbeitet und im Drogenviertel Dealern auf der Spur ist. Mit ihm sitze ich Stunde um Stunde im Auto, während er observiert. Es ist jemand, der wohl alles gesehen hat, hart gesotten. Und er erzählt, wie er mit den Tränen kämpfte, als er am Frankfurter Hauptbahnhof an Gleis 7 stand und an den ermordeten Jungen dachte.
In Berlin begleite ich Bundespolizisten und laufe mit ihnen durch den Hauptbahnhof. Sie haben mit dem ein oder anderen Obdachlosen schon mal eine Zigarette geraucht. Deshalb wissen sie um die Lebensumstände, erzählen von ihrem Scheitern, ohne sich zu verbrüdern. Ein junger Beamter berichtet, dass sich in den letzten vier Wochen allein in seiner Schicht fünf Suizide ereignet haben. Die Beamten und Beamtinnen müssen dann zum Ort des Geschehens. Und einer muss die Beweise aus den Kameras sichern, das bedeutet, den Suizid aus allen Perspektiven anzuschauen, vor und zurück, immer wieder. Das lässt niemanden kalt.
Ausnahmezustand als Normalität
In den drei Tagen bei verschiedenen Polizeistationen habe ich Polizistinnen und Polizisten erlebt, von denen viele noch in der Ausbildung waren oder noch jung im Dienst, die meisten waren noch nicht dreißig. Sie zeigten höchste Professionalität, waren klar in der Ansprache, verhältnismäßig in ihrem Verhalten. Natürlich ist es das, was wir als Gesellschaft zurecht von ihnen erwarten, ja verlangen. Aber das ist leicht gesagt, erfordert aber in der Wirklichkeit viel Selbstdisziplin, Anstrengung und Gespür. Es gibt eine berufsimmanente Erfahrung der Krise. Die Polizei wir ja nie gerufen, um sich über den gelungenen Kindergeburtstag zu freuen, sondern wenn etwas schief geht, wenn der Alltag unterbrochen wird durch Verbrechen, Drogen, Gewalt. Die Polizei geht dahin, wo die Gesellschaft nicht funktioniert. Der Ausnahmezustand ist ihre Normalität.
In meinen Gesprächen ging es zwar auch um Ausrüstung, um Personal, um die Durststrecke, bis die neu geschaffenen Stellen mit fertig ausgebildeten Polizistinnen und Polizisten besetzt sind. Aber es ging vor allem um die Frage, wie die Polizei gesellschaftliches Verständnis für ihre Arbeit erlangen und behalten kann. Und umgekehrt, wie über Probleme bei der Polizei gesprochen werden kann, ohne dass Kritik als Pauschalangriff verstanden wird.
So wurde in letzter Zeit vermehrt über rechtsradikales Gedankengut, ja rechtsradikale Strukturen berichtet. Vergleichsweise viele Polizisten stehen auf AfD-Wahllisten, es gab eine Chat-Gruppe und Faxe, in denen eine Anwältin und ihr Sohn bedroht wurden – aus dem ersten Revier in Frankfurt, jenem Revier, das ich besuchte. Es wurde berichtet über rechtsradikale Symbole an Uniformen und Runenschriften auf Fahrzeugen….
Und alle die ich traf, von den Chefs in der Leitungsebene bis hin zu den Streifenpolizisten, mit denen ich morgens Pizza aß, treibt das um. Sie wissen, dass es zwar an vielen verschiedenen Stellen in der Gesellschaft Verfassungsfeinde gibt, aber dass das innerhalb der Polizei besonders schlimm ist, weil die Polizei das staatliche Gewaltmonopol innehält und es keinerlei Zweifel gerade an ihrer Verfassungstreue geben darf. Und nach der richtigen Sprache über ihre Arbeit, eine die angemessen, aber nicht anmaßend ist.
Wechselseitiger Frust
Oft genug laufen die Einsätze eben nicht nach Plan, reagieren Dealer eben nicht auf deeskalierende Ansprache, antworten schon Jugendliche aggressiv. Wenn dann Polizisten mit Klartext antworten, vielleicht auch Gewalt einsetzen müssen und das dann kritisiert wird, dann muss es sich so anfühlen, als ob lauter Klugscheißer, die keine Ahnung haben von dem, was auf der Straße los ist, den Kollegen ans Zeug flicken und das, obwohl man den Kopf für alles und jeden hinhalten muss und keine Dankbarkeit dafür bekommt.
Grundsätzlich beobachte ich in der Gesellschaft eine Hochachtung gegenüber der Polizei. Das gilt für Journalisten, Politiker und Bürger. Aber wenn es konkret wird, wenn man kontrolliert wird, angesprochen wird, das Auto angehalten, man durchsucht oder festgenommen wird, dann packen sie zu hart zu, vergreifen sich im Ton, sind die „Bullen“ oder manchmal sogar „Bullenschweine“. So entsteht wechselseitig Frust.
Jenseits von Fehlern und konkreten Verstößen, die es sicherlich gibt, ist es ein Innen-Außen-Problem. Ein Problem der Kommunikation. Und das ist eine viel größere Gefahr als die Werbezüge der Populisten. Denn wenn die Struktur der Debatte dafür sorgt, dass sich ein Korpsgeist bildet, bzw. eine Fingerzeige-Gesellschaft, dann wird Gemeinsames immer schwerer. Das zu verhindern ist eine Aufgabe für alle – Polizisten und Polizistinnen, Bürgerinnen und Bürger, der Politik, der Medien.
Ein paar Vorschläge, um dagegen anzuarbeiten
Es sollte Beauftrage geben, Ansprechpartner für Polizistinnen und Polizisten, die außerhalb der Diensthierarchie stehen, Probleme also nicht als Verstöße melden müssen, die Sorgen von Kollegen aber ernst nehmen und die Hinweise von Bürgerinnen und Bürgern nachgehen können. Vertrauensleute also, mit denen man Enttäuschungen im Dienst aber auch Verfehlungen bereden kann, ohne gleich als Weichei oder Kameradenschwein zu gelten, weil man petzt.
Das Dienstrecht sollte so angewandt werden, dass Quereinsteiger es leicht haben, dass andere Abschlüsse anerkannt werden und, wenn dienstliche Vorgaben nicht dagegen sprechen, gegebenenfalls auch andere Tätigkeiten neben dem Dienst ausgeübt werden können. So vernetzt sich die Polizei eng mit der Gesellschaft, Polizistinnen und Polizisten tragen ihre Erfahrungen in die Gesellschaft und außerpolizeiliche Erfahrungen kommen in die Polizei.
Vielleicht ist es möglich, Ausbildungen, Sport, Feste gemeinsam mit anderen zu machen, regelmäßig Tage der offenen Tür, des Miteinanders anzubieten, vielleicht sogar – ist der Gedanke wirklich so abwegig – sogar mit Menschen oder Gruppen, von denen man sonst annimmt, sie sind eher der Gegner. Mir jedenfalls haben diese Tage und Nächte bei der Polizei so viele Momente und Eindrücke gegeben, dass daraus etwas Neues erwachsen kann.