Neugier aufeinander

 
Foto: Dominik Butzmann

Wie zwei unterschiedliche Erfahrungswelten ins Gespräch kommen

Für Michèle Kiesewetter

Manchmal schärfen Zufälle den Blick für sonst Verborgenes. Am letzten Donnerstag wurde das Urteil gegen den NSU, den „Nationalsozialistischen Untergrund“, der aus rassistischen Motiven zehn Menschen ermordete, vom Bundesgerichtshof für rechtskräftig erklärt. Ich las davon auf der Fahrt nach Heilbronn, wo ich die nächste Wahlkampfveranstaltung hatte. Die war exakt auf dem Platz, wo die Erinnerungstafel für Michèle Kiesewetter steht. Michèle Kiesewetter war 2007 vom NSU ermordet worden, mit einem Kopfschuss, von hinten ausgeführt. Michèle Kiesewetter war Polizistin. Ihr Kollege, Martin A., wurde ebenfalls niedergeschossen, überlebte aber schwer verletzt.

Mitreisende Beamte

Um den Platz herum standen verschiedene Polizist*innen. Wie bei allen Veranstaltungen inzwischen. Leider muss das wohl so sein. Und persönlichen Schutz durch mitreisende Beamte habe ich auch. Anfangs habe ich mich ein bisschen gegen diese Betreuung gesträubt, fand, ich kann schon ganz gut auf mich aufpassen. Aber ich weiß inzwischen, wie gut es ist, dass sie dabei sind. Immer wieder gab es Vorfälle und es bahnte sich was an, was die Beamten und Beamtinnen auf den Plätzen mit ihrer Professionalität in den Griff bekommen haben. Ich bin froh und es gibt mir Sicherheit, dass sie da sind. Und ich bedankte mich auf der Bühne in Heilbronn, auf dem Platz, wo Michèle Kiesewetter erschossen wurde, und tue das hier in diesem Blog ausdrücklich nochmal, dass die Polizist*innen bereit sind, ihre Gesundheit, vielleicht ihr Leben zu riskieren, damit offene politische Versammlungen abgehalten werden können, freie Reden und freie Diskussion möglich sind. Und auch, wenn es nicht so schlimm kommt, immerhin müssen die, die mich ständig begleiten, dauernd meine Rede hören, in der Sonne oder im Regen stehen, egal, ob sie gut finden, was wir politisch so treiben oder nicht.

Auf einmal sitzt man am gleichen Tisch

Aber, und das wollte ich eigentlich erzählen, man lernt sich auf dieser Tour ganz gut kennen. Ich konnte das schön beobachten, wie sich das kleine Team, das die Tour begleitet – Pressereferent*innen, Social-Media-Spezialist*innen, Fotograf und Fahrer und die begleitenden Polizist*innen, sich einander annäherten. Kriminalbeamt*innen und Grüne Kollegi*nnen, die jetzt über Wochen das Gleiche erlebten, die gleichen Fahrten machen, die gleichen Hotels, die gleichen Raststätten – das ist eine spannende Versuchsanordnung. Ein bisschen fremd ist man sich. Ein bisschen neugierig aber auch. Und plötzlich findet man sich in, sagen wir, Rostock beim Gang zum Hafen in ein gemeinsames Gespräch vertieft. Auf einmal sitzt man am gleichen Tisch, isst Pizza und redet über seinen Alltag.

Sich foppen und neugierig sein

Das Team – Leute, voller Hoffnung und Idealismus, die ihren Job gut machen, ist neugierig, fragt die Beamt*innen, die erzählen, wie sie eigentlich arbeiten, wie sie ausgebildet sind, wie sie trainieren, was sie tun, um zu verhindern, dass die Politiker*innen, die sie seit Jahren schützen, mit Eiern beworfen werden oder Schlimmeres, wie sie einen Platz mit 1000 Menschen scannen, sich positionieren, sich verhalten. Und sie fragen uns, nach politischer Arbeit, dem, was nervt, was einen stolz macht, wie aus Situationen eine Geschichte wird.

Selbstverständlich teilen

Es gehört zu den kleinen, großen Momenten dieser Wahlkampfwochen, dass ich erlebe, wie zwei unterschiedliche Erfahrungswelten ins Gespräch kommen, einfach, selbstverständlich, direkt. Und wenn wir mal von den gastgebenden Kreisverbänden ein Sixpack des heimischen Bieres geschenkt bekommen, dann teilen wir das ganz selbstverständlich abends im Hotel mit unseren Freund*innen und Helfer*innen von Kriminalamt.

Was soll ich sagen? Es ist einfach schön, zu sehen, wie man neugierig aufeinander ist. Und wenn ich jetzt noch was Politisches sagen soll, dann, dass ich mir das als Stil und Bereitschaft für alles Weitere wünsche. So kann‘s gehen.

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