Europas Rolle entscheidet über die OSZE
Als ich kürzlich hier wegen Russlands Bombardement in Syrien den Stopp der Gaspipeline Northstream 2 forderte, hagelte es plötzlich Wutkommentare auf Facebook und Twitter von Putin-Sympathisanten. Der Ost-West-Konflikt, den wir glaubten überwunden zu haben, ist wieder voll da – nur in einer ohnehin und seit der Trump-Wahl noch fragileren Welt.
Am kommende Woche tage vor diesem Hintergrund die Außenminister der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) in Hamburg, mehr als 40 Jahre nachdem die Vorgängerorganisation KSZE mit der Schlussakte von Helsinki einen Grundstein für die Annäherung von Ost und West gelegt hat. Alles redet richtigerweise in den Tagen davor über Rüstungskontrolle, europäische Verteidigung und die Rolle der Nato.
Aber dass die Lage so zerbrechlich ist, hat auch entscheidend mit der Europäischen Union selbst zu tun. Der Brexit war der Schock, in Italien und Österreich droht an diesem Wochenende ein Doppelsieg der Populisten und in Österreich sogar der Halbfaschisten.
Europa hat seine Strahl- und Anziehungskraft verloren. In Europa wächst die Ungleichheit. Europa hält sein Versprechen vom Aufstieg nicht. Europa wird ein Europa der Enttäuschten. Das trifft nicht nur die südeuropäischen Staaten, sondern auch und gerade die osteuropäischen Staaten.
Bulgarien und Lettland zum Beispiel
Wie leicht echauffieren wir uns über die Fremdenfeindlichkeit in Osteuropa, die rigide Flüchtlingspolitik, die Macht der Rechtspopulisten, die zunehmende Orientierung vieler Staaten an Putins autoritär geführtem Russland. Aber wie wenig sprechen wir zum Beispiel darüber, dass Bulgarien das ärmste Land der EU ist, ein Land voller Industrieruinen und für viele ohne Perspektive. Einer Studie des Center für Strategic and International Studies zufolge, gilt Bulgarien aufgrund des enormen Einflusses Russlands in der Wirtschaft und auf dem Energiemarkt als gekaufter Staat. Es hat gerade einen pro-russischen General zum Präsidenten gewählt .
Lettland hingegen, wie die anderen baltischen Staaten aus historischen Gründen in großer Distanz zu Russland, hat nach den von Deutschland durchgesetzten Prinzipen der Austeritätspolitik einen harten Sparkurs gefahren und gilt deshalb innerhalb der EU als Musterschüler. Auch der Musterschüler ist aber eines der Länder mit der größten Ungleichheit, ein Land, das binnen zehn Jahren zehn Prozent der Bevölkerung verlassen haben auf der Suche nach einem besseren Leben. Ist das das Versprechen der EU: Abbruch statt Aufbruch?
Die Sicherheitsfrage der EU ist auch eine soziale Frage
Wenn wir ein starkes Europa wollen, dann muss die Sicherheitsfrage auch als soziale Frage gestellt werden. Es ist reicht nicht, die Bedrohung von außen wie einen Gurt um die EU zu schnüren, damit sie zusammenhält. Wir brauchen eine andere Europapolitik – eine Europainnenpolitik, damit die EU nicht von innen zerbricht.
Die EU muss ein großes nachhaltiges Investitionsprogramm auf den Weg bringen, um Jobs zu schaffen, um den Menschen in ihrer Heimat eine Chance zu geben. Wir brauchen ein Ende der Austeritätspolitik, einer Politik, die destruktiv ist und zentral auf das Konto von CDU und CSU und Bundeskanzlerin Angela Merkel geht. Und wir brauchen europäische Sozialpolitik als Basissicherung. Und das gepaart mit konkreten, Europa erlebbar und erfahrbar machenden Projekten.
Die Fremde eine Bereicherung, nicht eine Bedrohung
Ich hatte 1991 das Privileg, ein Erasmus-Stipendium zu bekommen. Wie zigtausend andere Studierende – aber wir sollten nicht nur die Studierende durch die Welt schicken, sondern auch Leute in der Lehre, schon Ausgebildete, Handwerker.
Ich bin als Minister veratwortich für das Freiwilige Ökologische Jahr (FÖJ). Junge Leute aus allen Teilen Deutschlands leben ein Miteinander für die Gesellschaft, dass man auf der Stelle wieder so jung sein möchte. Warum nicht junge Leute aus allen Teilen Europas das anbieten? Einen europäischen Freiwilligendienst? Man lebt, man liebt, man verliebt sich. Man verliebt sich als Europäer.
Und ich wurde zu einem Europäer, als ich nach der Schule Interrail machte. Die Idee, die Jugend Europas auf Entdeckungstour durch ihre Kontinent zu schicken, jedem 18-Jährige ein Ticket zu sponsern, ist genau richtig. Wenn einen Polen im Garten schlafen lassen, Portugiesen Brot oder Schnaps spendieren, dann wird Freiheit und Solidarität erfahrbar und die Fremde eine Bereicherung, nicht eine Bedrohung. Europa ist dann kein Ding der Eliten mehr. Die EU ist mehr und muss mehr sein als ein Wirtschafts- und Finanzunion.
Dann haben wir vielleicht eine Chance, das Ende der EU verhindern – und die Sehnsucht nach Wandel in eine Erzählung von Demokratie, Humanität und Solidarität zu betten. Und dann haben wir eine Chance, im Spannungsfeld zwischen Russland, der Türkei, dem Nahen Osten und den USA mit einem unberechenbaren Donald Trump eine eigene Rolle zu spielen. Aufbruch statt Abbruch.