Meine ersten Koalitionsverhandlungen fanden 2005 statt. Wir trafen uns um 19 Uhr, um ab 21 Uhr mit der SPD zu verhandeln. Es war der Horror. Ab 1 Uhr wurde man unkonzentriert, ab 3 Uhr schlief man ein, ab 4 Uhr schlug Übermüdung in Gereiztheit um. Ich habe in diesen Nächten Tränen wie Wutanfälle gesehen, die man im Vollbesitz seiner Kräfte nie gehabt hätte. Danach nahmen wir uns und ich mir vor, das nie wieder so zu machen. Die nächsten Verhandlungen, 2012 und 2017, trafen wir uns um 9 Uhr zum Vorgespräch und verhandelten von 11 bis 16 Uhr. Sicher, es gab auch Ausnahmen, aber insgesamt war es so und es war gut und ging gut gelaunt und erfolgreich.
Das Klimapaket der Großen Koalition: eine einzige Enttäuschung
Die vierten Verhandlungen, bei denen ich dabei war, waren im November 2017 die Jamaika-Sondierungen. Und sie zogen sich tief in die Nächte bis in die Morgenstunden hinein, oft ergebnislos. Daran musste ich denken, als ich am Freitagmorgen beim frühen Aufwachen hörte, dass die GroKo sich in der Nacht nicht geeinigt hätte. Sie trafen sich um 22 Uhr – was soll das? Inszenierung der Leidensfähigkeit? Vorführen von sinnbildlicher Müdigkeit? Anfängerfehler? Und sie fabrizierten in einer langen Nacht ein Eckpunkte-Papier, das eine große Enttäuschung ist.
Ändern, ohne ändern zu wollen wird schwierig
Und das, nachdem es ja viele Tage in vielen Monaten in vielen Jahren gab, in denen die GroKo-Parteien etwas hätten ändern können. Aber sie schoben alles auf den letzten Drücker. Das Problem dieser Nacht war, dass die vielen Vorfestlegungen von Union und SPD einer weitreichenden Entscheidung, einer Kehrtwende, entgegen standen: gebremster Ausbau von Wind an Land, kein spürbarer CO2-Preis, Festhalten an schwarzer Null, keine klaren Vorgaben. Wenn man etwas ändern muss und nichts ändern will, wird es ganz schwierig.
Gesamtverantwortung über Parteiinteressen
Diese Nachtsitzungen sind nun zum Symbol geworden. Die Parteien haben sich zurückgezogen, nachtblind, haben sich auf sich selbst konzentriert, auf die internen Wünsche der jeweils eigenen Parteien und haben sich daran gemessen, was sie gegen was tauschen. Aber im Dunklen sieht man nicht weit, Dunkelheit macht blind. Blind für das, was nötig ist und möglich ist, blind für die Forderungen der Wirtschaft und die Hoffnungen und Entschlossenheit der Menschen. Blind für Gesamtverantwortung. Die Kanzlerin sagte, für die Unionsseite sei es schon ein Paradigmenwechsel, dass sie überhaupt in einen CO2-Preis einsteigen. Mag sein, aber es ist gleichzeitig verräterisch ehrlich. Angela Merkel spricht so aus, was passiert ist: Es ging um das Binnenklima von Parteien und dessen Rettung. Das Koalitionsklima. Nicht dieser Paradigmenwechsel ist es, den das Land braucht. Es hätte in dieser Nacht überhaupt nicht um die Union gehen dürfen. Sie war nie der Maßstab.
Diese Selbstbezogenheit habe ich schon einige Male bei der Großen Koalition beobachtet. Bei der Entlassung und gleichzeitigen Beförderung von Hans-Georg Maaßen, dem damaligen Verfassungsschutzpräsidenten. Auch so ein nach innen gerichteter Blick. So erklärlich das ist – verzeihlich ist es nicht. Als die Ergebnisse zum Klimapaket durchsickerten, stand ich in der Demo vor dem Brandenburger Tor. Und die Leute um mich herum hatten Tränen in den Augen vor Enttäuschung und Fassungslosigkeit. Diese Regierung ist die Enttäuschung derer, die hoffen und kämpfen. Sie hat ihre Zukunft hinter sich.