Samstagabend hatte ich schon das Trampolin mit Packriemen an den Quittenbaum gebunden und den Basketball-Korb flachgelegt, nachts heulte es und klapperte an den Fenstern und pfiff, morgens hatte sich der Sturm bei uns gelegt, und ich erwachte bei einem stahlblauen Himmel. Ich checkte die Sturmflutprognosen – das sollten unsere Deiche locker aushalten (haben sie auch, wie unsere Küstenschützer mir berichteten).
Und dann begann ein ungeplanter Tag : ohne politische Termine, da sich die Jamaika-Unterhändler ja eine Denkpause verordnet hatten. Und der klare Himmel zeigte tatsächlich den weiten Horizont. Ich kämpfte mich durch Berge von Laub, die Herwart von den Zweigen gerissen hatte, montierte das Rosengitter, das seit dem Sommer im Keller liegt, weil ich nie Zeit hatte, und konnte sogar die abgebrochenen Äste kleinsägen
Nachmittags fuhr ich zum Flensburger Bahnhof. Viele Menschen saßen in der kalten Sonne. Es sah aus wie vor zwei Jahren, als der Bahnhof zum Drehpunkt der Flüchtlingsreisen nach Schweden wurde. Gestern ging es aber für niemanden weiter. Was im Internet noch unklar war – fuhren Züge oder nicht? – wurde hier schnell klar: Nichts ging. Also musste ich umdenken, mich anders auf den Weg machen als gedacht. Ich informierte unsere Verhandlungsführerinnen, dass ich keine Chance hätte, morgens 8.00 in der Hauptstadt zu sein. Herwart hat – wie für viele Menschen, die zur Arbeit müssen oder mit der Bahn Freunde, Familie besuchen wollen – die Reisepläne über den Haufen geworfen. Ich hackte noch Holz und räumte das Werkzeug weg.
Und jetzt sitze ich eben im Auto. Mal wieder auf dem Weg nach Berlin. Verspätet zur nächsten Runde der Sondierungsgespräche. Muskelkater in den Schultern, zufrieden, weil gestern endlich mal was fertig wurde – in den 14 Tagen davor eher – nix. In einem Punkt haben Wetter und Politik also was gemeinsam: Wie Herwart hat uns das Wahlergebnis zur Improvisation gezwungen, und man muss sich drauf einlassen, wenn was Gutes draus werden soll. Aber da endet die Metapher. Denn aus der Improvisation darf kein improvisiertes Bündnis werden, das nur aus der Not zusammengeschustert wird und nur aus Ersatzbussen, komplizierten Umleitungen und immer wieder Stillstand besteht.
Unser Hauptziel darf nicht sein, uns gegenseitig möglichst zu neutralisieren, die Verwaltung des Status Quo. Wir müssen einen Gestaltungsanspruch erheben. Den Anspruch haben, für die gesellschaftlichen Fragen – Klimaschutz, Flucht und Krieg, soziale Fragen, Umwelt- und Agrarpolitik, Digitalisierung – Lösungen zu finden, die auch über den Tag hinaus halten.
Um zu wissen, ob das geht, heißt es, schnell Klarheit zu schaffen. Wir müssen in den Sondierungen nicht über alles reden und uns über Details in die Wolle kriegen. Aber die großen Brocken, die symbolischen, die müssen wir klären. Auf dieser Basis müssen wir dann entscheiden, ob wir die Brocken kleinhacken oder es sein lassen. Weniger heißen Brei, mehr kalte Sonne.