Die letzten Tage war ich fast durchgehend auf Reisen. Kreuz und quer durch Deutschland. Und weil es so viele Tage waren, konnte ich den Reisekoffer, den ich sonst benutze, damit Minister-Hemden nicht knittern, nicht nehmen. Stattdessen nahm ich den Wanderrucksack. Er ist deutlich größer als drei Liter, jenes Maß, das München als Grenze für Gepäckstücke für das Oktoberfest festgesetzt hat. Aber niemand sah mich scheel an, als ich durch die Bahnhöfe ging.
Am Kölner Hauptbahnhof stieg ich aus. Anders als noch vor vier Wochen standen dort keine Polizisten mit Maschinenpistolen. Aber allein, dass mir das auffiel und dass ich meinen Rucksack ins Verhältnis zu dem setzte, was auf dem Oktoberfest verboten ist, zeigt, dass sich etwas verändert hat. Mit den Anschlägen von Nizza und Rouen, Ansbach und Würzburg, ist die Angst vor dem Terror in diesem Sommer näher gerückt. Als Antwort werfen Politiker mit Vorschlägen um sich, um zu beweisen, dass der Staat handlungsfähig ist.
Einen Teil finde ich sinnvoll: Dass die Geheimdienste in Deutschland und in der EU besser zusammenarbeiten müssen, ist klar. Dass wir effiziente Überwachungsbehörden und spezialisierte Internetkriminalisten brauchen, auch. Genauso scheint eine mehr und besser ausgestattete Polizei nötig zu sein, um potentielle Attentäter zu überwachen.
Aber so, wie es läuft, zeigt sich etwas Gefährliches: Die Angst droht zum Grundmotiv politischen Handelns zu werden.
Wenn jemand Angst hat, schafft er sich eine subjektive Wahrheit. Sie ist weder objektiv und in dem Sinn rational, noch ist sie ein schlichtes Gefühl. Es gibt gute Argumente, nicht bei Rot über die Ampel zu laufen, denn der Verkehrstod ist eine vergleichsweise häufige Todesursache, besagt die Statistik. Und genauso gibt es gute Argumente, in Regionalzügen oder Kirchen keine Angst zu haben. Aber bei der Bahn sollen jetzt hunderte neue Sicherheitskräfte eingesetzt werden, und die Debatte über den verstärkten Einsatz der Bundeswehr im Inneren läuft (in Frankreich patroullieren mit Maschinengewehren bewaffnete Soldaten inzwischen schon vor Kirchen, an Stränden und in Parks). Nimmt das die Angst? Vermutlich nicht.
Angst ist eine eigene Realität. Sie ist nicht vernünftig, und sucht sie sich Mittel, ihre eigene Realität und Weltsicht zu bestärken. Die große Gefahr besteht darin, der Angst die Herrschaft über die Argumente zu geben. Und die noch größere Gefahr, sie gleich zur Herrscherin über die Politik und Gesetze zu machen.
CDU und die CSU springen leicht auf den Zug der Angst auf. Es gibt Gründe für und gegen ein Burka-Verbot, aber mit dem Vorschlag, als Antwort auf die Terroranschläge die Burka verbieten wollen, schaffen sie in Wahrheit ein neues Unsicherheitsgefühl. Keiner der Terroristen trug eine Burka. Wenn sie fordern, die doppelte Staatsbürgerschaft abzuschaffen, bzw. zu überprüfen, denkt man, diese sei ein Sicherheitsrisiko. Nur wer sich bedingungslos zu einer „deutschen Identität“ bekennt, ist also vertrauenswürdig; wer zwei Pässe besitzt, nicht. Integration und Innere Sicherheit werden zusammengerührt, was zu einem pauschalen Misstrauensvotum gegenüber Menschen führt, die selbst oder deren Eltern nicht hier geboren sind. Das spaltet– und spielt den Radikalen in die Hände. Aber das ist Angstdebatten zu eigen: Der Sinn, die tatsächlichen Folgen sind egal, es geht um Symbole.
Die Spirale, die sich ergibt, ist die des Populismus. Er braucht die Angst als Selbstverstärker: Angst vor dem Fremden, Angst vor dem Islam, Angst vor Flüchtlingen. Die Angst ist das Verbindende, sie schafft Zusammenhalt – einen destruktiven allerdings.
Der Populist füttert die Krise, lässt sie wachsen und sagt dann: Seht, wir haben eine Krise, die Menschen haben Angst, wir müssen sie ernst nehmen und reagieren. Und die, die, sagen, wir wollen den Populisten nicht das Feld überlassen? Sie reagieren auf die Krise und sagen: Die Menschen haben doch Angst und wir müssen sie ernstnehmen und reagieren. Sie steigen in das Angstspiel ein – nebenbei bemerkt, oft genug selbst aus Angst vor dem Stimmverlust. Damit bestimmen faktisch die Populisten die Debatte – gut– oder genauer: erschreckend- zu beobachten in Frankreich, wo der Front National die Politik vor sich hertreibt – von Konservativen bis hin zu Sozialisten, siehe Burkini-Verbot. Wenn Angst in Hysterie mündet, wird es gefährlich.
Ich habe meinen Rucksack in den vergangenen Tagen quer durch das heiße Deutschland geschleppt. Von Köln nach Frankfurt fiel in einigen ICE-Abteilen die Klimaanlage aus. Wir, die Reisenden, litten eine Zeitlang stumm. Es war affenheiß und die Luft klebte in den Lungen. Dann stand die erste auf und ging zwei Abteile weiter in das nächste, wieder gekühlte. Und dann folgten ihr andere, am Ende alle. Auch die anderen Abteile waren pickepacke voll, aber die Leute rückten zusammen, standen auf, um die Kinder sitzen zu lassen, halfen sich mit Wasser aus. Die Schaffner behielten die Geduld, trotz des Gedränges und Geschiebes. Wir schwitzen zusammen. Wir rückten zusammen. Buchstäblich.
Es gibt Angst, aber es gibt auch das einfache Miteinander, ein Leben ohne Misstrauen. Das dürfen wir uns nicht nehmen lassen – und uns selbst nicht nehmen. Wenn das ein Innenminister nicht kapiert, sollte er mal mit dem Zug durch Deutschland reisen, nicht mit dem Dienstwagen, ein Deutschland-Interrail für Innenminister.