Heimat in der Zukunft

Vereidigungen, Zeremonien, Inaugurationen – ich konnte lange nichts mit ihnen anfangen. Ist ja für Spießer. Gestern wurde ich zum zweiten Mal als Minister vereidigt. Ich stand im Kieler Plenarsaal, in diesem Glashaus, die Förde vor mir, der Himmel bedeckt, Windböen zerrten an den Flaggen. Und als ich die Eidesformel sprach- „ich schwöre“ – trafen fünf vergangene und fünf kommende Jahre aufeinander. Ein Übergang, ein Brückenmoment, ein Déjà-vu der Realität, ein Augenblick, um umzuschalten. Durchzuatmen. Weiterzumachen. Oder auch, es anders zu machen.

Vor fünf Jahren war die erste Aufgabe, den Ausbau der Erneuerbaren so schnell wie möglich in Gang zu bringen und den schleppenden Stromnetzausbau zu beschleunigen. Es war ein Jahr nach Fukushima, die Energiewende war en vogue, und niemand, niemand hätte sich wie FDP und CDU jetzt in Nordrhein -Westfalen getraut, sie auszubremsen. Es galt 2012, die Atomkraftwerke zurückbauen – die Konzerne spielten noch auf Zeit und weigerten sich, Rückbauanträge zu stellen – die Endlagersuche neu zu starten, und ich wollte den Konflikt zwischen Landwirtschaft und Umweltschutz erst verstehen und dann helfen, ihn zu entschärfen, vielleicht an manchen Stellen zu lösen, und wir wollten den ländlichen Raum stärken. Jetzt, fünf Jahre später, sieht man, wie viel passiert ist: Die Stromnetze werden täglich Meter für Meter gebaut, Erneuerbare Energien zeigten in der Energiebilanz Schleswig-Holstein schon 2015 bei  115 Prozent (heute sind noch mal mehr), die Förderprogramme für den ländlichen Raum sind überzeichnet, die Ökoanbaufläche wächst.

Strom aus Wind können wir, jetzt geht es um mehr

Genau so deutlich zeichnet sich aber ab, worum es die nächsten Jahre gehen muss. Strom aus Wind machen, das können wir. Jetzt müssen Autos, Busse, Lastwagen und Bahnen mit erneuerbaren Energien fahren. Jetzt muss die Industrie ihre Produktionsprozesse umstellen und den Absprung von fossilen Energien schaffen, das Gleiche gilt für die Wärmeversorgung. Wir brauchen neue Steuerungsinstrumente, damit Verbrauch und Produktion besser zueinander passen. In der der Landwirtschaft können präzisere, effiziente Techniken den Druck auf Umwelt, Böden, Gewässer mindern. Die Start-Ups, Ideenschmieden, sind jetzt gefragt.

Und nach Fünf Jahren im Draußenministerium mit Wind, Sonne und Gülle werde ich nun auch Digitalisierungsminister. Passt – denn damit erobern wir uns einen neuen Raum, scheinbar virtuell, aber mit enormen Auswirkungen auf die Wirklichkeit.

Selbstfahrende Autos, Roboter und Kaffeeklatsch

Die Digitalisierung ist eine zweite Industrielle Revolution. Durch sie wird sich Fortschritt in einer Geschwindigkeit entfalten, die uns schwindeln lassen wird. Das wirft aber auch andere Fragen auf: Was ist Arbeit im Zeitalter selbstfahrender Busse, Autos und Mähdrescher? Welche Einkommen erzielen Menschen, die nicht Programmierer sind? Wie sichern wir Teilhabe an und Sicherheit in einer Gesellschaft, die sich immer stärker digital spreizt? Wie verändert sich Kommunikation, wenn vielleicht alle nur noch irgendwo am Smartpohne arbeiten und niemand mehr zur Kaffeepause in die Büroküche kommt – wo sind die Grenzen? Ist es gut oder schlecht, wenn sich Roboter um Demenzkranke kümmern? Wie verletzbar ist eine Welt, die so extrem vernetzt ist? Die Digitalisierung macht Informationen zu einer handelbaren Ware. Das macht sie vielen Menschen zugänglich und Fortschritt möglich – aber unterwirft sie auch den Ausgrenzungen der Ökonomie. Um all diese Fragen müssen wir uns kümmern.

Mit dem Koalitionsvertrag haben wir Grundlagen gelegt: die Idee einer Art Grundeinkommens, die Schaffung von flexiblen Arbeitszeitmodellen, die Unterstützung von Start Ups, Open-Data, intelligente Stromnetzen, eine moderne, bürgerfreundliche, digitale Verwaltung, eine klare Green-IT-Strategie, damit Digitalisierung Ressourcen spart und und und….

Entscheidend für die politische Agenda ist dabei nicht die Technik – aber auch nicht die Angst vor der Technik

Entscheidend für die politische Agenda ist dabei nicht die Technik – aber auch nicht die Angst vor der Technik. Entscheidend ist, dass wir dazu beitragen, dass die Menschen einen Platz in der digitalen Welt  finden – eine Heimat in der Zukunft.

Und mindestens im Umrissen ist erahnbar, dass sich mit neuen Übertragungs- und Datenformen auch das Verhältnis des Einzelnen in und zu der Gesellschaft ändert. Der einzelne Mensch geht nicht mehr in einer anonymen Masse auf wie zu Beginn der Industrialisierung. Er oder sie hat einen eigenen Followerkreis, lebt ein höchst individuelles Leben. Die Biographien sind so unterschiedliche wie die Menschen. Väter kümmern sich um ihre Kinder und Frauen machen Karrieren und dann ein Sabbat-Jahr und dann gründen sie ein Start-Up….

Die jeweils einzelnen in ihrer Verschiedenheit, ihre bunte Viten, ihre Sorgen und Nöten müsse nicht gleichgemacht werden und sie brauchen auch keine Sammelidentität oder Leitkultur, sie suchen und brauchen Anerkennung in ihrer Verschiedenheit. Eine solche politische Kultur zu entwickeln, die Geschichte der Demokratie entlang dieses Suchens nach Anerkennung, die das Private des Bürgerlichen überschreitet aber individueller ist als die alte normative Gleichheit des Bürgerstatus, das ist die neue Aufgabe. Die Republik, das ist jeder einzelne.

Wie also werden die nächsten Jahre? Die Unerfahrenheit als Minister ist unwiederbringlich verloren. Aber der Optimismus und die Gewissheit, dass Sich-Einmischen einen Unterschied macht, ist geblieben, genauso wie die Dankbarkeit, dass ich im Amt an der Zukunft unserer Gesellschaft mitschrauben darf. Geblieben? Ach was: erneuert.

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