Am Wochenende als der Frühling nach Schleswig-Holstein kommen sollte, schnappte ich mir mein Rad. Nicht nur zum mal so rumradeln sondern zum Auswildern. Nicht nur, dass ich mal keine Wahlkampftermine hatte (es fühlte sich an wie das erste mal seit dem Beginn des Urwahlprozesses – Weihnachten abgezogen – es fühlte sich groß an!), auch meine Familie war nicht da. Meine Frau auf der Buchmesse, die Jungs überall. Zuerst war ganz schön schwer, mit Freiheit umzugehen. Was soll man bloß tun, wenn es keine Strukturen und Termine gibt? Und dann radelt ich einfach drauflos, wie Henry David Thoreau in „Walden“ schrieb: „Auf die Beschaffenheit des Tages selbst einzuwirken, das ist die höchste aller Künste.“ Ich ließ Handy und Karte zuhause und fuhr Richtung Sonne. Ich dachte, ich kenne das Land so gut, ich finde mich schon zurecht. Aber das stimmte natürlich schon nur halb. Immer wieder musste ich Fragen, wo es nach Arnis geht, ob rechts oder links rum, welcher Weg nach Langballig. Die Sonne verzog sich irgendwann und man glaubt ja gar nicht, wie schwer es ist, sich zu orientieren, wenn man keinen Horizont sieht. Und dennoch oder gerade deshalb war es ein großes Glück. Die Menschen waren entspannt, saßen auf ihren Hofeinfahrtssteinen und tranken Kaffee und ab 16.00 Bier, sie arbeiteten im Garten, sie wirkten auf die Beschaffenheit ihres Tages ein. Und alle waren nett und hilfsbereit zu mir – obwohl sie mich erkannten. Menschen sind zu Politikern, die durchgeschwitzt und abgerockt vor ihnen stehen nett! A-U-S-R-U-F-E-Z-E-I-C-H-E-N! Auch das war ein Glück. Ich wusste, ich gehörte zu diesem Land, zu diesen Menschen. Und das Wort Glück wurde ein innerer Zustand.
Seit vielen, vielen Abfragerunden leben in Schleswig-Holstein die glücklichsten Deutschen. Und die glücklichsten Europäer leben regelmäßig in Skandinavien, mal in Dänemark, mal in Norwegen. Ich konnte an diesem Tag sehen, warum das so ist. Es gibt eine Identifikation mit der Gesellschaft. Was manchmal als billiger Lokalpatriotismus verspottet wird, ist tatsächlich der Antrieb, füreinander da zu sein. Ob als Dorfgemeinschaft oder in der Flüchtlingshilfe. Klar gibt es auch Dorftümmelei und Kleingeistigkeit, aber wesentlich mehr gibt es eine lässige Zugewandtheit, die oft plattdeutsch daher kommt. Es gibt zweitens eine hohe Identifikation mit Raum. Und mit der Natur. Vielleicht weil hier alles später anfängt zu blühen, weil hier Sonne so rar ist, weil das Land nicht lieblich ist und der Gegenwind so kalt, schätzt man es besonders. Und selbst der knorrigste Bauer, der Mais anbaut und Weizen vor der Ernte zur schneller Abreife nochmal mit Pestiziden spritzt, schwärm, wenn er nicht als Bauer sondern als Schleswig-Holsteiner redet, von der Rückkehr des Fischotters und freut sich über Lerchenflüge (und vermisst die, wenn sie ausbleiben). Halbwegs intakte Natur macht glücklich. Drittens: Ungleiche Gesellschaften sind unzufriedener als sozial einigermaßen austarierte. Und weil das Einkommen hier gleicher ist, weil es weniger Extremreiche gibt, muss man sich auch nicht ständig seine Eifersucht unterdrücken oder seinem Geiz frönen. Und vielleicht hat, ich möchte es so gern glauben nach einem Tag wie diesem, auch einen Einfluß, dass Politiker nicht „die da oben sind“, sondern welche von uns. Klassensprecher vielleicht, aber keine Manager oder Lehrmeister.
Glück ist kein unpolitischer Faktor. Man kann es messen am Medikamenten- oder Drogenkonsum, an Arbeitslosenquoten (ohne Job zu sein raubt den Arbeitslosen Selbstachtung und soziale Bindungen), man kann es abfragen entlang von gewünschter und tatsächlicher Arbeitszeit, gewünschtem und tatsächlichen Einkommen. Lebenszufriendenheit ist ein starkes Mittel, politische Wirklichkeit anders zu gestalten. Es ist eben nicht so, dass ständiges Wachstum alle Menschen glücklich macht, dass grenzenloser Reichtum besser ist für eine Gesellschaft. Man kann politische Ziele auch anders definieren. Und man kann das erleben. Danke an alle, die mir an diesem Tag den richtigen Weg gewiesen haben!