Seit fast einer Woche bin ich jetzt ununterbrochen im bayerischen Wahlkampf. Und ja, um es mit Katha Schulze zu sagen, es liegt was in der Luft. Eine politische Energie, ein Wille, Zutrauen, Zuversicht und Zusammenhalt, zum Leitmotiv des Handelns und Wählens zu machen. In den letzten Umfragen haben AfD und CSU mit ihrem Hass- und Angstschema jedenfalls verloren. Aber durch alle Veranstaltungen, bei denen ich bin, schwebt eine Frage durch den Raum: Wie konnte es überhaupt sein, dass die CSU sich so vergaloppiert und so falsch abbiegt.
Als Küstenkind lerne ich in diesem Wahlkampf vielleicht mehr, als ich verkünde. Was soll ich den Bayern groß ihr Land erklären. Sie kennen es ja besser als ich. Aber mit dem Blick des Nicht-Bayern kann ich vielleicht etwas dazu beitragen, diese Frage zu beantworten. Mir scheint, die CSU hat einen fundamentalen Grundsatz der Demokratie vergessen, vielleicht verdrängt: dass nämlich Wahlen dazu da sind, dass man die Wahl hat – und eine Wahl trifft. Und dass es also Sinn und Zweck dieser Veranstaltung ist, dass jemand gewinnt und jemand anderes verliert, und dass das nicht immer der gleiche sein sollte.
Alle Menschen, die derzeit auf der Straße sind, um andere Menschen für die Wahl zu interessieren, opfern viel. Sie sehen ihre Familien zu wenig, sie machen zu wenig Sport, vernachlässigen den Garten, füttern ihre Katze unregelmäßig, übertreten dauernd die Hemmschwelle, jemanden anzusprechen und ihm einen Flyer anzubieten – sie stellen ihr privates Leben in den Dienst eines funktionierenden Gemeinwesens. Sie sind die wahren Heldinnen und Helden der Demokratie. Aber sie alle wissen, dass es auch schief gehen kann, dass man nicht den Landtag oder Bezirkstag gewählt werden oder dass man an der 5 Prozent-Hürde scheitern kann. Und wenn das passiert werden sie abends nach Hause fahren und an allem zweifeln, all die Stunden umsonst, alles vergeblich, alle Hoffnungen zerstoben, dann werden sie traurig oder enttäuscht sein. Aber sie wissen, dass es passieren kann. Und sie machen es trotzdem. Weil sie wissen, dass Wahlen einen Unterschied machen sollen.
Dieses Wissen ist den Spitzen der CSU in den Jahrzehnten der Alleinregierung abhandengekommen. Daraus erwuchs ein Hochmut und aus ihm eine Verachtung der Demokratie – aus Mitbewerbern im politisch unabdingbaren Streit wurden Gegnern in einem Wahlkrieg um die absolute Macht. All die Warnungen vor mehr Parteien im Landtag, vor Sondierungs- oder Koalitionsgesprächen, die die CSU-Oberen jetzt raushauen, sind entsprechend verräterisch. Sie erzählen von einer demokratischen Vergesslichkeit.
Wenn jetzt die absolute Mehrheit der CSU schwindet, wenn in Bayern zum ersten Mal seit Jahrzehnten Parteien miteinander wirklich verhandeln müssen, dann ist das nichts, wovor man Angst haben muss. Eher umgekehrt. Angst sollte man haben, wenn Demokratie nie was ändert. Ja, es kann sein, dass die Regierungsbildung kompliziert wird. Und es kann sein, dass es anders wird. Aber genau das ist ja das demokratische Versprechen: dass die Bürgerinnen und Bürger entscheiden, was im Land passiert. Was in Bayern gerade passiert, ist deshalb eine Frischluftzufuhr für die Demokratie. Das was in der Luft liegt, ist diese Frische.