Zeit der Kinder. Jetzt.

Die ökologische Krise einzudämmen, das ist die historische Aufgabe unserer politischen Generation. Lasst uns beweisen, dass es gelingt.

Jeden Freitagvormittag demonstrieren seit ein paar Wochen Schülerinnen und Schüler dafür, dass die Politik der Erwachsenen auch erwachsen handelt und mit dem Vorsatz, die Klimakatastrophe abzuwenden, ernst macht. In Berlin laufen die Fridays For Future-Streikenden im Invalidenpark neben dem Wirtschafts- und Energieministerium auf. Der Park liegt genau gegenüber der Grünen-Bundesgeschäftsstelle und zweimal hab ich mich unter die demonstrierenden Schülerinnen und Schüler gemischt. Ich konnte die Energie, den Hunger, die Sehnsucht in der Menge geradezu spüren. Aber auch das Unverständnis und die Verbitterung, dass es überhaupt zu diesen Protesten kommen musste. Sie rufen uns entgegen: „Tut endlich was! Jetzt!“

Die, von denen wir unsere Welt nur geborgt haben: Fridays For Future

Diese Schülerinnen und Schüler sind die Kinder, von denen wir „unsere Welt“ nur geborgt haben. Sie sind das Jetzt. Dass sie auf der Straße sind, ist das eindringlichste Zeichen, dass die Zeit knapp und das ökologische Korsett eng wird. Die Zeit der lässigen Lässlichkeit ist vorbei. Wir reden nicht mehr über Jahrzehnte, in denen die Umkehr gelingen muss, sondern über wenige Jahre. Wir reden nicht mehr von einer abstrakt weiten Zukunft, sondern von unserer Welt und unserer Wirklichkeit. Es ist die Zeit der Erben angebrochen.

Tollkühne Volten der Hilflosigkeit

Vor diesem Hintergrund fasse ich nicht, wie die Debatte sich gerade entwickelt. Auffällig ist zum einen, dass diejenigen, die seit Jahren Verantwortung tragen, ständig so tun, als seien an all dem andere – meist die Grünen – schuld. Peter Altmaier warnt vor einer unbezahlbaren Energiewende (hat er schon als Umweltminister vor bald sieben Jahren gemacht, seitdem trägt er Verantwortung). Julia Klöckner vor Höfesterben. Andreas Scheuer vor Stickoxid-Grenzwerten (wohlgemerkt: vor den Grenzwerten, nicht den Stickoxiden). Ja, wer ist denn seit Jahrzehnten in der Regierung? Die aktuellen Grenzwerte für Stickoxide wurden von der CDU/FDP-geführten Regierung in deutsches Recht überführt, dass wir unnötige Braunkohleanlagen teuer durchfüttern, haben CDU und SPD entschieden, und seit bald 14 Jahren ist das Agrarministerium im Bund nicht mehr grün. Die Opposition für die verfehlte Politik der Regierung verantwortlich zu machen, ist schon eine tollkühne Volte der Hilflosigkeit.

Logik des Verhinderns und Angstmachens

Zum anderen fällt auf: Politikerinnen und Politiker halten ungebrochen an der alten Logik des Verhinderns, der Angst und des Angstmachens fest. Der Ton wird immer aggressiver. Annegret Kramp-Karrenbauer warnt vor einer „De-Industrialisierung“ Deutschlands durch zu viel Klimaschutz. Kann sie bitte einmal zur Kenntnis nehmen, dass die Erneuerbaren Energien schon heute die günstigsten sind, dass sie eine dramatische Preisentwicklung nach unten hingelegt haben und diese weiter gehen wird? Dass erneuerbarer Strom sehr bald nur noch 1 bis 2 Cent kosten wird, dass er günstiger ist als jeder andere? Und dass, wenn es die Gefahr einer De-Industrialisierung gibt, diese aus zu wenig Klimaschutz erwächst?

Andrea Nahles warnt vor einer „Blutgrätsche gegen die Braunkohle“, für die die SPD nicht zur Verfügung stehe. Bei anderen bricht sich gar eine martialische Sprache Bahn: Christian Lindner redet in Bezug auf die Stickoxid-Grenzwerte von einer Enthauptung der deutschen Automobilindustrie. Ähnlich der Cheflobbyist, VDA-Präsident Bernhard Mattes, der in der Verkehrsdebatte von einem Kreuzzug gegen das Auto spricht. Meine Güte! Was für die Erneuerbaren gilt, gilt erst recht für die Batterien, deren Leistungsfähigkeit dramatisch zunimmt und deren Preis in den letzten acht Jahren um rund 80 Prozent gefallen ist und bis 2027 noch einmal radikal sinken wird. Der Zuwachs bei den Kaufraten von Autos ohne fossile Verbrennungsmotoren beträgt 100 Prozent, was rein statistisch bedeutet, dass Ende des nächsten Jahrzehnts der Verbrennungsmotor ein Ladenhüter ist. Andere Länder haben das längst erkannt.

Das System wendet sich gegen sich selbst

Und dann die Landwirtschaft: Julia Klöckner weigert sich, die Industrialisierung der Landwirtschaft zu stoppen. Dabei muss selbst im seit Jahren konservativ geführten Agrarministerium klar sein, dass wir weniger Tiere halten und essen müssen, wenn wir unser Klima und die bäuerliche Landwirtschaft erhalten wollen. Das System wendet sich gegen sich selbst: gegen die Bauern und gegen die Tiere. Das hat der letzte Sommer gezeigt, in dem Kühe vorzeitig geschlachtet werden mussten, weil die Weiden ausgedörrt waren.

Die freiheitliche liberale Demokratie muss ihre Leistungsfähigkeit beweisen

Was für die wirtschaftliche Zukunftsfähigkeit gilt, die eben nur durch das beherzte und entschlossene Vorantreiben und Moderieren des Wandels möglich sein wird, gilt gleichermaßen für die demokratische Grundverfasstheit. Jetzt muss die freiheitliche, liberale Demokratie ihre Leistungsfähigkeit beweisen, jetzt muss sie zeigen, was sie drauf hat.

Die Weltbank – nicht gerade ein grüner Kreisverband – hat errechnet, dass wir 2050 etwa 100 bis 140 Millionen Klimaflüchtlinge weltweit haben werden, wenn die Klimakrise nicht gestoppt wird. Das bedeutet noch mehr Armut, Hunger, Leid, noch mehr Instabilität und Gewalt. Damit wird die Klimakrise zu einer Demokratie- und Gesellschaftskrise. Wir schützen eben durch eine ökologische Politik nicht nur den Eisbären und ferne Generationen von Enkeln und Urenkeln, sondern vor allem auch im Kern die liberale, rechtsstaatliche Grundordnung. Das zu erkennen ist vielleicht auch eine Frage von historischem Bewusstsein.

Davon schwimmende Felle

Ich glaube, dass der Beschluss der Kohlekommission den Effekt hat, dass die Verteidiger und Besitzstandswahrer der Vergangenheit wissen, dass sie auf verlorenem Posten kämpfen. Wenn der Atomausstieg zunächst verlacht und dann trotzdem beschlossen wurde, wenn der Kohleausstieg lächerlich gemacht wird und nun doch begonnen wird, dann ist es wahrscheinlich, dass auch die Mobilitäts-, die Landwirtschafts- und die Industriepolitik eine andere werden wird. Und weil ihnen die Felle davon schwimmen und die Argumente ausgehen, schlagen sie so um sich.

Es wird Ärger geben

Wir treten ein in eine neue Konfrontation um die ökologische Wende. Und wir werden sie gewinnen! Nicht, indem wir auf Populismus mit Populismus antworten, nicht, indem wir Gebrüll niederbrüllen, sondern indem wir auf die Kraft von Verantwortung beharren. Wir werden zeigen, dass es geht und wie es geht. Wir werden um die Mehrheitsfähigkeit ringen. Wir werden Bündnispartner gewinnen – davon gibt es zuhauf: in der Gesellschaft, in der Industrie, in der Landwirtschaft.

Versagen oder Geschichte schreiben

Aber wird es Ärger geben, Debatten, genau wie die Teilnehmenden von Fridays For Future Ärger kriegen, weil sie den Schulunterricht bestreiken? Ich vermute, die eine oder der andere kriegt dafür einen Eintrag ins Klassenbuch. Okay, das muss man dann wohl akzeptieren. Aber ich wünsche mir: Kopiert euch diesen Eintrag und hängt ihn als Ehrenurkunde für Zivilcourage an eure Zimmerwände! Die ökologische Krise einzudämmen, ist die historische Aufgabe unserer politischen Generation. Gelingt das nicht, haben wir als politische Generation versagt. In diesem Wissen also: Lasst uns beweisen, dass es gelingt. Jetzt.

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