Die USA sind mehr als Donald Trump

Sechs Tage USA – eine Reflexion

Den Sonnenaufgang im Rücken

Als ich am ersten Morgen in den USA aufwachte, war es 4.00 Uhr. Mit Jetlag und dem Kopf noch irgendwie zwischen zwei Welten fand ich keine Ruhe mehr. Also raffte ich mich auf, zog die Laufklamotten an und rannte durch das menschenleere, frostkalte Washington. Am Weißen Haus vorbei, runter zur Mall. Ich schwitzte und mir war gleichzeitig kalt. Die Mall, also der große Park zwischen Kapitol im Osten und Lincoln Memorial im Westen war wie ausgestorben, das Kapitol nur spärlich angeleuchtet. Grauer Stein vor schwarzem Himmel. Ein konturenloser Park, keine Farben, nur das Washington Monument war angestrahlt und ragte kalt und abweisend in den schwarzen Himmel. Das Lincoln Memorial schien ebenfalls menschenleer, so dass ich nicht wusste, ob man es überhaupt betreten durfte. Aber man durfte. Ich spurtete die Treppen hoch, drehte mich um – der Himmel über Washington war wie eine Explosion, orange, violett, türkis. Ich stand da und staunte. Eine Polizistin schälte sich aus dem Halbschatten der Mauer und sagte, „beautiful, eh?“. Wir standen beide da und staunten.

Jetzt, wo ich auf der Rückreise bin, erscheint mir dieser erste Moment wie eine Metapher für die letzten sechs Tage. Die Kälte und das Schwitzen, Wege ohne klaren Umriss, der Sonnenaufgang im Rücken, die stille Solidarität mit Fremden.

In Trumps Zentrale

Das Spiegelbild, quasi die andere Seite der Metapher, war der letzte Termin in den USA in El Paso, Texas. In einer Stadt, in der sich die Herausforderungen des Landes wie unter einem Brennglas bündeln. Im dortigen Hauptquartier der Republikaner, der Grand Old Party, kurz GOP, saß ich zwischen Trump-Postern und Make-America-great-again-Mützen und trank mit dem lokalen Kampagnenleiter der Republikaner für die anstehenden Wahlkämpfe Kaffee. Der Mann war zuvorkommend, nett, konservativ und „Mexikaner“, wie er selbst von sich sagte. Er war vor fünfzehn Jahren wegen der Tea-Party-Bewegung zu den Republikanern gekommen und sah jetzt eine große Chance, den Demokraten die katholische Latino-Bevölkerung über die Bewegung gegen das Recht auf Abtreibung, die sogenannte Pro-Life-Bewegung, abspenstig zu machen. Als ich ihn fragte, ob er sich von Donald Trump nicht beleidigt fühlte, weil der Mexikaner als „Vergewaltiger und Mörder“ tituliert hatte, wich er in eine andere Geschichte aus. So ging es das ganze Gespräch über. Er und ich redeten irgendwie über das Gleiche, aber die Inhalte und ihre Deutung fanden in ganz unterschiedlichen Welten statt.

Während meiner Reise tobte im Senat die Debatte um das Amtsenthebungsverfahren gegen Donald Trump, im Lauf derer der Präsident einer der ältesten Demokratien der Welt als „Diktator“, „Feind der Demokratie“ und „Gefahr für die Grundwerte der USA“ bezeichnet wurde. Außenminister Mike Pompeo wütete derweil gegen die öffentlich-rechtliche Journalistin Mary-Louise Kerry, weil sie ihm kritische Fragen gestellt hatte. Und der Präsident selbst drohte, die öffentlich-rechtlichen Medien kaltzustellen. Während er wie wild twitterte und seine politischen Gegnerinnen und Gegner aufs Übelste beschimpfte, suchten die Demokraten unmittelbar vor den Vorwahlen in Iowa und New Hampshire nach einer politischen Erfolgsstrategie. Bei deren Debatten fiel vor allem auf, dass es immer um die Frage der richtigen Taktik ging. Welcher Kandidat bzw. welche Kandidatin hat bei welchen Wählerinnen und Wählern die besten Chancen. Ob das reicht, Trump zu schlagen? Ob es dadurch gelingt, die Universen und Weltwahrnehmungen zusammenzuführen? Ob die Spaltung und Unversöhnlichkeit der amerikanischen Debatte auch die Zukunft der europäischen Debatte ist, diese Frage lief unterbewusst die ganze Zeit mit.

Viele der Probleme und die möglichen Lösungen, die hier diskutiert wurden, erinnerten an Deutschland und Europa. Die Klimakrise wird keineswegs von allen geleugnet. Mehrere Bundesstaaten unternehmen erstaunliche und erfolgreiche Anstrengungen, sie zu bekämpfen, allen voran Kalifornien, wie dessen ehemaliger Gouverneur, Jerry Brown, bei einer gemeinsamen Podiumsdiskussion im Centre for American Progress eindringlich deutlich machte. Ein Green New Deal wird inzwischen im Kongress diskutiert. In vielerlei Hinsicht entspricht er den Vorschlägen der EU-Kommission. Das Land wird von rechtsterroristischen Anschlägen heimgesucht. Wie man mit Populistinnen und Populisten umgeht, wie man eine liberale demokratische Ordnung erhält und verteidigt, das treibt viele um. Es gibt eine engagierte, starke Zivilgesellschaft. Was Fridays for Future hier ist, ist Sunrise dort.

Eine größere Klarheit

Ich hatte aufregende, hochpolitische, hochkarätige Begegnungen, die alle lehrreich waren. Aber die, die mir am meisten in Erinnerung geblieben ist, war eine jenseits der Washingtoner Politik-Welt. Im Holocaust-Museum von El Paso diskutierte ich mit Vertreterinnen und Vertretern verschiedener Glaubensgemeinschaften über Integration. Und in El Paso gibt es echt viele verschiedene Glaubensgemeinschaften, Methodisten, Katholiken, Juden, Baháís. Sie haben sich zu einem „Inter-faith-Roundtable“ zusammengeschlossen. Auf meine Frage, wie sie mit der Zunahme von Hassrede und gesellschaftlicher Spaltung umgehen, ob sie versuchen, Kompromisse zu finden oder dagegenhalten, auch auf die Gefahr hin, selbst Teil der aufgeheizten Debatte zu werden, antwortete ein mittelalter, gemütlich aussehender Mann: Es gebe manchmal Zeiten, in denen große Klarheit erforderlich sei und man sich nicht hinter Phrasen verstecken könne. Natürlich solle man versuchen, Menschen und Meinungen zusammenzubringen. Kompromisse gehörten zum Leben. Aber das hieße noch lange nicht, dass man Verständnis für alles haben dürfe. Wenn man die Fähigkeit zur Empörung verlöre, dann würden Diplomatie und Höflichkeit zu Unterwürfigkeit und Duckmäusertum. Wenn der Lauf am Morgen der Anfang und das Gespräch in der Trump-Wahlkampfzentrale das Ende der Reise waren, dann waren diese Sätze, mit leiser Stimme vorgetragen, der Höhepunkt.

Quer zu alten Kategorien

Jetzt, im Flieger zurück, Amerika im Rücken, die Sonne kurz vor dem Untergang, drehe ich mich um und versuche, die politischen Konturen der Reise zu erkennen. Sie sehen folgendermaßen aus: Wir sind mitten in der Auseinandersetzung um eine neue politische Ordnung. Diese läuft quer zu den alten Kategorien, nach denen Politik sich bisher organisierte.

Auf der einen Seite sind Regierungen, die Austausch, Kooperation und Gemeinsamkeit ausdrücklich als Schwäche und Gefahr begreifen und stattdessen Egoismus und „my country first“ durchsetzen wollen. Für diese sind freie Medien, Solidarität und transnationale Beziehungen eine Gefahr. Noch wird Donald Trump von den demokratischen Institutionen eines gewachsenen Rechtsstaates eingehegt. Aber das Bedrückende und von Kongressabgeordneten geschilderte ist, dass die Institutionen von innen angegriffen werden. Daniel Ziblatt, der im Sommer letzten Jahres auf einer Klausur des grünen Bundesvorstandes mit uns diskutierte, beschreibt in seinem Buch „Wie Demokratien sterben“ genau diese Problematik.

Auf der anderen Seite stehen jene, die ein anderes Gesellschaftsmodell für das Bessere halten, die glauben, dass Humanität freundlich und zugewandt ist, nicht breitbeinig und egomanisch. Zu ihrer Aufgabe gehört es, das klar auszusprechen und diese fundamentalen Fragen nicht in eine Nebelzone tauchen zu lassen, in der alles gleich wird, zu einem beliebigen sowohl-als-auch. Nein, es gibt einen grundlegenden Unterschied. Und ich habe die Erfahrung gemacht, dass viele Transatlantikerinnen und Transatlantiker in den USA geradezu darauf warten, dass europäische und deutsche Politikerinnen und Politiker gegenüber dem derzeitigen Präsidenten eine klare Sprache finden und sie nicht allein lassen in dem Bemühen, den wertegebundenen Kern der transatlantischen Beziehungen zu bewahren. 

Europäische Robustheit

Einst haben die USA Europa und Deutschland beigebracht, in transatlantischer Partnerschaft zu denken. Nun ist der veränderte Ansatz der Trump-Regierung für Europa wahrhaft eine große Herausforderung. Wir müssen unsere Gewissheiten hinterfragen. Die Annahme, dass automatisch alles gut wird, kann nicht mehr Grundannahme europäischer Politik sein.

Die Werte von einem gelingenden Leben in Freiheit sind die Grundwerte der amerikanischen Verfassung. Sie haben die Geschichte geprägt, waren und sind – nach düsteren Jahren in Deutschland – Fundament für unsere Demokratie und unverzichtbar für den Weg zu einem einigen Europa. Auf ihnen fußt die Jahrzehnte gewachsene transatlantische Freundschaft. Auch, wenn die Beziehungen durch die Regierung von Donald Trump auf eine harte Probe gestellt werden, gilt es, diese Wertegemeinschaft aufrechtzuerhalten und zu pflegen. Politik ist nicht allein die Macht von Ämtern, sondern der Glaube und das Vertrauen in die stille Solidarität von Menschen untereinander. Davon fand ich so viel jenseits des Atlantiks. Die USA sind mehr als Donald Trump.

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