Ein Blog über Schrecken und Heldentum
Ein paar Wochen nach den Unwettern in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, nachdem die akute Notlage bewältigt war und ich nicht das Gefühl hatte, mich aufzudrängen, war ich in der letzten Woche in einigen der betroffenen Orte. Ich hatte einen Termin in der Eifel, eine Tagung zur Waldpolitik, Peter Wohllebens Nationaler Waldgipfel. Er war länger schon geplant, und normalerweise wäre ich danach zu gut gelaunten Wahlkampfterminen weitergefahren. Aber es war anders. Wir waren in der Region, in der die schweren Unwetter niederkamen, Orte verwüsteten und Menschen in den Fluten ertranken.
Nach meiner Rede und der anschließenden Diskussion verließ ich daher den Waldkongress, um ein paar Besuche bei Menschen zu machen, die von der Flut hart getroffen worden waren. Wir haben ja schon öffentlich politische Konsequenzen gezogen – mit Vorschlägen, den Katastrophenschutz neu aufstellen, haben den Druck erhöht, um mit Klimaschutz ernst zu machen und den Klimafolgenschutz in Angriff zu nehmen. Aber mit persönlich Betroffenen in der Region hatte ich noch nicht gesprochen.
Auf der Fahrt war mir etwas beklommen zu Mute. Die Schäden an den Straßen sah ich schon auf dem Weg – gesperrte Durchfahrten, unterspülte Straßen; wir bewegten uns weg von einer – ja – heilen Sommerwelt hin zu Menschen, die binnen Stunden alles verloren hatten. Die nun folgenden Gespräche, Eindrücke, Begegnungen waren eindringlich, es war ein unter die Haut gehender Tag. Hier ist sein Bericht.
Plötzlich konkret
Auf den Straßen der Ortschaften sah ich den verräterischen Sand, inzwischen weggebürstet, von der Überschwemmung im Asphalt. In den Dörfern überall Container mit Rigipsplatten und nasser Rockwolle, Sperrmüll auf den Straßen, der, so erzählte man mir, schon deutlich weniger geworden ist, und dennoch türmte er sich noch zu Bergen auf, einige Häuser halb zerstört. Die Bilder aus dem Fernsehen, bekannt und doch fern, jetzt plötzlich keine Bilder mehr, sondern unmittelbar. Für die Menschen, die ich traf, das Umittelbarste, Konkreteste, was es gibt. Einige Orte und Stadtteile haben immer noch nur Strom aus Baugeneratoren, einige Straßen können nach wie vor nur mit dem Trecker erreicht werden, einige Anwohner müssen so mit Lebensmitteln versorgt werden.
In einem Ort an der Sülz berichteten mir zwei Feuerwehrleute, dass ein älterer Herr im Ort noch im Keller war, als das Wasser kam, und der dort vom Wasser gefangen wurde. Als die Feuerwehr das Haus erreichte, lebte er noch. Aber die Feuerwehrleute konnten nicht zu ihm rein, konnten das Fenstergitter nicht ausreißen. Sie versuchten, ihm durch einen Schlauch Sauerstoff zu geben, aber das Wasser riss am Ende alles weg, und der Mann ertrank, während die Kameraden zuschauten. Den Worten der Feuerwehrleute nach haben sie das bisher verarbeiten können, oder jedenfalls einen Umgang damit gefunden. Die Familie aber kam ins Haus zurück, als der Keller noch unter Wasser stand und der Leichnam des Großvaters noch nicht geborgen werden konnte. Sie mussten im Erdgeschoss aufräumen, während der gestorbene Großvater noch im Keller war. Das belastet sie bis heute schwer.
Es ist einer der tragischen, erdrückenden Berichte, die ich hörte. Ein anderer ist der über einen Feuerwehrmann, der ertrank, 42 Jahre alt. Er wurde von der Strömung von der Trittstufe des Fahrzeugs gerissen, sein 18 jähriger Sohn, ebenfalls Feuerehrmann, wollte ihn aus dem Fahrzeug heraus noch halten und musste dann zusehen, wie sein Vater ertrank.
Es läuft öffentlich eine intensive Debatte ob die Menschen in der Region früher hätten gewarnt und in Sicherheit gebracht werden müssen. Ich kann mir von außen kein Urteil über die einzelnen Abläufe erlauben und diese müssten geklärt werden. Als ich hier war, berichteten mir meine Gesprächspartner, dass es Warnungen gab – die Feuerwehr fuhr rum und forderte sie auf, das Erdgeschoss zu verlassen, wo es sie noch gab, es heulten Sirenen. Alle sagten mir, dass sie Bescheid wussten, dass es hart werden würde, auch wenn wahrscheinlich das exakte Ausmaß dieser, man muss es so nennen, nationalen Katastrophe nicht klar war. Die Feuerwehren richteten Krisenstäbe ein, die Bundeswehr wurde gerufen und kam in die Orte, in denen ich war, schnell. Viele Menschen begannen damit, die Keller auszuräumen. Vermutlich auch der Großvater, der später dann ertrank.
Niemand schimpft
In den Orten schimpfte niemand. Eine ältere Dame kam zwar zunächst erbost auf die Bürgermeisterin zugelaufen und sagte, sie wolle sich auch mal beschweren, aber dann brach aus ihr eigentlich nur die Hilflosigkeit heraus. Sie lebt allein. Ihr Haus ist verwüstet. Corona war schon einsam für sie, jetzt ist alles irgendwie zuviel. Die Bürgermeisterin spendete Trost und luddie Dame zum Kaffee ein. Beide lächelten. Zwar sei die Frau versichert, aber wie soll sie nur den ganzen Dreck wegkriegen? Das fiel auf: Alle wollten reden.
Ein anderer Ort. Eine junge Frau erzählte mir, dass sie nachts von Nachbarn geweckt wurde. Da war aus dem Rinnsal hinter ihrem Haus ein reißender, 10 Meter breiter Strom geworden, der gegen die Rückwand ihres Hauses brandete. Sie floh auf die Straße. Minuten später stand das Haus bis zum ersten Obergeschoss unter Wasser. Seitdem habe sie nie mehr als 3 Stunden nachts geschlafen, und wenn es regnet, kriege sie Panik.
Auch die Feuerwehrleute, gestandene, erfahrene Kräfte, berichteten von jenen Tagen detailreich. Dass ein Kollege anrief und sagte, er müsse das Fahrzeug jetzt aufgeben. Wie andere durch Zufall an einem Schwimmenden vorbei kamen und ihn rauszogen, sonst wäre er ertrunken. Wie sie die Altenheime evakuierten, wie Menschen um Hilfe schrien, wie sich ein Gastank losriss und wie ein Torpedo durch die Stadt sauste und sie ihn einfangen mussten. Schrecken und Heldentum haben sich in dieser Nacht gemischt. Mit Solidarität. Ein Optiker, der seinen Laden verloren hat, berichtete von Leuten, die ungefragt Kuchen vorbeibringen. Die junge Frau, die bei Regen nicht mehr schlafen kann, erzählte, dass am Tag danach die Mitglieder von zwei Fußballvereinen ungefragt in ihrem Garten standen, wo sich das Geröll 1,80 Meter hoch türmte und singend den ganzen Tag den Berg wegschaufelten. Sie hatten sich über einen Messengerdienst verabredet.
Als ich da stand, wo der Mahlstrom gegen das Haus brandete, sah ich die Schaufeln, jetzt aufgereiht am Schuppen. Viele haben vieles verloren, bei weitem nicht die Hälfte der Betroffenen ist versichert gewesen. Auch gibt es Berichte, dass Versicherungen manchmal gar nicht versichern wollten. Sie hoffen jetzt auf staatliche Unterstützung. Aber manchmal ist der schlimmste Verlust gar nicht der finanzielle, manchmal noch nicht mal der von Dingen. Einige haben die Erinnerungsstücke verloren, Fotoalben der Familie, andere ihre Sammlungen. Ein Mann, der Oldtimer sammelte und reparierte und sie alle verloren hat, nahm sich am Tag vor meiner Reise das Leben.
Zupacken wie die Helfenden
Zukünftig muss meiner Ansicht nach die Elementarschadensversicherung Standard sein. Alle sollten sie haben. Das senkt das Risiko für die Versicherer und damit die Prämien. Und die Versicherungen sollten entsprechend auch für alle Lagen solche Versicherungen anbieten. Und zwar kostengünstige. Und dann müssen die Gelder so schnell fließen wie die Soforthilfe. Das habe gut geklappt, sagten alle die, mit denen ich sprach. Aber vieles muss jetzt sehr schnelle entschieden werden: Schienen und Brücken sind zerstört. Darf die Reparatur erst nach einem Planfeststellungsbeschluss erfolgen, wenn dieser lange dauert? Ich würde sagen, nein. Viele Kommunen sind stark verschuldet. Woher soll das Geld kommen, um jetzt Straßen oder die Innenstadt zu reparieren? Ich würde sagen, maßgeblich durch Investitionshilfen des Bundes. Es fehlt an Bautrocknern – die lassen sich sicher organisieren. Was ich sagen will: Politik sollte jetzt so zupacken, wie die Helfenden.
Ich weiß nicht, ob ich auch nur einem Menschen geholfen hab, an diesem Tag. Ich habe ein paar Aufträge und Bitten mitgenommen und werde versuchen, sie zu erfüllen oder weiterzugeben. Aber ich habe noch etwas mitgenommen: Die unbedingte Bereitschaft zur Zuversicht. Dafür von Herzen Dank.