Die Kunst des Unmöglichen

Tortendiagramme

Wie Mengenlehre in der Grundschule: Seit am Sonntagabend die ersten Zahlen auf den Bildschirmen standen und über die Nachrichteticker liefen, wird gerechnet und es werden Tortendiagramme gemalt. Die Debatte konzentriert sich auf Mehrheiten und Schnittmengen, Ampel oder Jamaika. Das ist für einen Wahlsonntag und die ersten Tage danach auch okay.

Wer das Land zusammenhält

Der Ausgang der Landtagswahl hat dem Land eine unübersichtliche Lage beschert und bedeutet für alle politischen Akteure eine hohe Verantwortung. Der Wählerwille muss eine Form finden, keine Partei kann in der von ihr gewünschten Konstellation regieren, und es braucht eine ordentliche Portion Demut vor der Macht, um eine handlungsfähige Regierung zu bilden. Gesucht wird ein Bündnis, dass das Land zusammenhält.

Aber Handlungsfähigkeit bedeutet mehr als Machtarithmetik, Politik ist mehr als Mathematik und Mengenlehre. Politik handelt von Ideen von der Gesellschaft, und wie wir sie gestalten. Und darum sollte es in den nächsten Wochen gehen: Was braucht unser Land?

Was das Land jetzt braucht

Einer überregionalen Zeitung konnte ich zu dieser Fragen kürzlich entnehmen, dass Jamaika so etwas wie das Bündnis der Wahl ist: Der Norden werde innovativ; wohlhabend und lässig. Es war von bürgerlichen Wählermilieus und offenen Hemden und sozialer Empathie ohne Umverteilung die Rede – also eine Wohlfühl-Koalition der Wohlhabenden, die sich ein bisschen Soziales an die Fassade streicht. Ja, hübsch gezeichnet, doch es reduziert Politik auf Stil.

 

Keine Regierung als Bündnis der Besserverdienenden

Und das letzte, was wir brauchen, ist eine Regierung, die sich als Bündnis der Besserverdienen versteht. Wir brauchen aber anderes: Politik muss sich um die zentralen Fragen der Zukunft kümmern. Und die treffen auch Schleswig-Holstein bis ins Mark.

Hier hat sich das Land mit der Energiewende auf den Weg gemacht und ist zur Werkstatt für eine moderne Energie-, Industrie- und Arbeitswelt geworden. Bei allen Problemen, die der Ausbau von Windenergie und Stromnetzen mit sich bringt – wir brauchen eine konsequente Forstsetzung der Energiewende –und eine Ökologisierung der Wirtschaft (statt eines Stillstandes über Jahre). Denn ohne die Entkoppelung von Wachstum und Ressourcenverbrauch, ohne eine Umstellung der Wirtschaft auf Erneuerbare wird das mit Unternehmertum und Wohlstand dauerhaft nichts.

Genauso müssen wir hier das Zusammenleben mit neuen Nachbarn organisieren. Das geht nicht mit Leitkulturdebatten sondern mit echter Integration in Arbeit und Lebenswelt und dem Einsatz für ein modernes, zeitgemäßes Einwanderungsrecht. Nicht die Zahl der Abschiebungen ist der Maßstab für Erfolg, sondern am Ende, wie viele Jungs und Mädchen aus Afghanistan; Syrien etc. hier in Sportvereinen spielen, wie viele in die Freiwillige Feuerwehr gehen, wie viele Arbeit finden und ihren Beitrag zu unserer gemeinsamen Gesellschaft leisten. Kurz gesagt: Es geht um die Frage der Heimat: Sind wir ein Land, dass sich Humanität und Integration zutraut? Oder schotten wir uns national ab und begreifen Integration als Bedrohung?

Apropos Heimat

Apropos Heimat: Unsere Heimat hat sich unter dem agrarsturkturellen Wandel stark verändert, sichtbar bei jeder Fahrt durchs Land, spürbar in den Dörfern. Wollen wir auf ein Land ohne Bauern und dafür voller Ödnis zu Umweltproblemen zu? Wir haben in den letzten Jahren langsam, beharrlich, aber erfolgreich Umwelt und Landwirtschaft angefangen zu einem zu machen, weil nur so die Landwirtschaft eine nachhaltige, gesellschaftlich akzeptierte Zukunft hat.

Und weiter: Die Frage von Aufstieg und Gerechtigkeit ist kein Fassadeanstrich, sondern elementar für den Zusammenhalt dieser Gesellschaft (der angry white man lässt grüßen). Gerade angesichts von globalen Mechanismen, die die Tüchtigkeit des einzelnen immer mehr durch Kapitalentscheidungen großer Unternehmer überformen – auch hier in Schleswig-Holstein. Wir brauchen eine Reform unserer Sozialsysteme sowie eine offene und vielfältige Bildungslandschaft, gut ausgestattete Schulen und Kitas sind dafür die richtigen Antworten.

Schließlich geht es um die grundlegende Aufgabe, Freiheits- und Bürgerrechte zu schützen, und sie wird angesichts eines autoritären national-konservativen Roll-backs immer brennender. Die von der Bunderegierung gefledderte Datenschutzgrundverordnung, Schleierfahnung, Wir-sind-nicht-Burka-Bildzeitungspapiere und …. Das ist das Gegenteil von fortschrittlich-progressiv…

Bürgersinn statt Bürgerlich

Wir brauchen den Mumm, die ökologischen und sozialen Wandlungsprozesse zu gestalten. Dafür streben wir eine fortschrittlich-freiheitliche Regierung an, eine Regierung, die Bürgersinn verkörpert und nicht nur bürgerliche Milieus, eine, die unseren Bürgerinnen und Bürgern was zutraut: Mut, Humanität und Freiheit. Das ist es, was das Land braucht.

Politik, sagte Bismarck, sei die Kunst des Möglichen. Oft genug ist es umgekehrt. Aus dem scheinbar Unmöglichen Handfestes zu schaffen, das ist Politik.

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