Die ersten Stationen der Sommerreise #glückesunterpfand endeten mit einer Frage: „Braucht auch der liberale Staat eine Tradition, auf die er sich berufen kann? Welche könnte das sein?“ Eine Antwort fand ich beim nächsten Termin in der Paulskirche in Frankfurt. Dort tagte 1848 die erste deutsche Nationalversammlung und diskutierte und schrieb und verabschiedete schließlich eine Verfassung für ein demokratisches Deutschland als konstitutive Monarchie. In Kraft freilich trat sie nicht, weil der König von Preußen keine Krone vom Volk verliehen bekommen wollte, nicht „solch ein Diadem aus Dreck und Letten der Revolution, des Treubruchs und des Hochverrats geschmiedet“, wie er es nannte. Sie verströme den „Ludergeruch der Revolution von 1848“ und sei ein „Hundeshalsband“.
Das ist der antirepublikanische Geist, gegen den die Verfassung anging. Später beeinflusste die Verfassung der Paulskirche sowohl die der Weimarer Republik als auch das Grundgesetz und die Verfassung der Europäischen Union.
Das Kaiserreich verachtete die Verfassung, die Nazis hassten sie
Der freundliche Frankfurter Fremdenführer, der uns all das erzählte, erwähnte beiläufig, dass das erste Buch, das er über die Paulskirche als Baudenkmal kenne, stamme aus der DDR. Da horchte ich auf. Also wurde 100 Jahre lang der Ort der Verfassungsgebenden Versammlung, der heute einer der deutschen Orte ist, nicht besonders gewürdigt? War es kein demokratisches Denkmal? Nein, war seine Antwort, wie auch: Das Kaiserreich verachtete die Demokratie, Weimar kämpfte an mehreren Fronten gegen den Untergang, die Nazis hassten die demokratische Verfassung. Erst nach dem zweiten Weltkrieg, als der Frankfurter Oberbürgermeister Walter Kolb seine Stadt zur Bundeshauptstadt machen wollte, wurde die Paulskirche als Ort der Demokratie neu aufgebaut und erschaffen. Sie ist also auch ein Gründungsmythos, aber unter anderen Vorzeichen: Stand Hermann für Nationalismus, Feindschaft und Stärke, ist die Paulskirche Symbol für Liberalität, Demokratie und Bürgertum.
Die Unvollendete: Diktatur zementiert Macht, Demokratien legitimieren sich immer neu.
Nebenbei bemerkt: Auch die europäische Verfassung – 2004 fertig ausgehandelt und in direkter Genealogie mit der Frankfurter Verfassung verbunden – wurde nicht angenommen. Diesmal nicht von überheblichen Potentaten bekämpft, sondern in Referenden abgelehnt. Die Geschichte der Paulskirche und der EU-Verfassung handeln also beide vom Unvollendeten. Und das ist auf den ersten Blick frustrierend; das Scheitern der EU-Verfassung von 2004 war ja ein Schlag. Aber zugleich steckt eben doch etwas Bemerkenswertes darin: Das Wesen der Demokratie ist Veränderung, das der Diktatur ist Stillstand. Der autoritäre Herrscher zementiert die Macht, demokratische Regierungen müssen sich immer neu legitimieren. Das ist auch spiegelbildlich zur Gesellschaft zu sehen. Diktaturen frieren ein bestimmtes Gesellschaftsgefüge ein – Stände, Klassen. Demokratien sind Bewegung. Diktaturen entscheiden, was gewünscht ist und verdrängen das Ungewollte, Ungeplante, die Probleme, Demokratien müssen sich stellen. Demokratie ist nie fertig. Diktaturen wollen die Ewigkeit in der Gegenwart.
Frankfurter Drogenhilfe: Sich dem Problem pragmatisch stellen
Später am Tag besuchte ich mit dem Polizeipräsidenten von Frankfurt die Drogenhilfe. Ich erinnere mich noch an Besuche der Stadt in den Neunzigern, als in den Taunus-Anlagen nur noch von Fixern und Dealer anzutreffen waren, Polizei und Sanitäter auch noch, aber keine Frankfurterinnen und Frankfurter. Heute ist das anders. Die Zahl der Drogentoten ist deutlich zurückgegangen. Die Drogenhilfe und der von der Stadt Frankfurt eingeschlagene Frankfurter Weg sorgen dafür, dass den Abhängigen ohne die Vorbedingung, dass sie erstmal clean sein müssen, geholfen wird. Sie bekommen saubere Spritzen, es gibt Drücker-Räume, ich erfuhr eine Menge über den Unterschied im Crack- und Heroin-Konsum. Und ich sah eine Menge menschliches Elend. Respekt vor all den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die sich dem täglich stellen! Und die Polizei und die Staatsanwaltschaft sind Partner dieses Projektes, ja sie haben es mit aus der Taufe gehoben. Dabei war das rechtlich nicht einfach, denn Drogen wie Heroin sind ja illegal und eigentlich müsste die Polizei dann eingreifen. Aber die Behörden – Polizei, Sozialbehörden und viele mehr – stellten sich dem Problem pragmatisch, so dass letztlich eine rechtliche Form geschaffen, die ihnen erlaubt, aufzupassen und so für mehr Sicherheit zu sorgen. Demokratie ist nie fertig….
Recht ist des Glückes Unterpfand
Wenn auch Recht des Glückes Unterpfand ist und wir feststellen, dass es aber Hilfe und Lösungen erschwert, dann kann es sich ändern. Und sollte geändert werden. Und das genau können demokratische Rechtsstaaten, das ist ihr Versprechen. Und Recht zu ändern ist etwas ganz anderes, also sich über Recht hinwegzusetzen. Das sollten vor allem amtierende Innenminister wissen.