Bildungsföderalismus und Unterwerfung
Im Rahmen der Urwahl meiner Partei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN habe ich gerade einen Fragebogen mit 48 Sachfragen zu allen möglichen Themen beantwortet. Darunter auch die Frage: „Wie ist, erstens, deine grundsätzliche Haltung zum Föderalismus im Bildungswesen?“ Ich antwortete, wie ich die letzten Jahre stets geantwortet hatte: „Ich halte den Bildungsföderalismus für überkommen. Das sage ich auch und gerade als Landespolitiker. Da er jedoch Verfassungsrang hat, sollten wir uns nicht mit seiner Abschaffung verkämpfen, sondern ihn über Kooperation und Finanzierungsprogramme von Innen überwinden.“
Am Abend des Wahlsiegs von Trump stockte die Hand
Aber ich schrieb diese Sätze am Abend des Wahlsiegs von Donald Trump. Und ich stockte. Der Bildungsföderalismus ist ja nicht eingeführt worden, damit klamme Länder ihre Schulen schlecht ausstatten, sondern er ist ein Schutz gegen totalitäre Umerziehung, als Reaktion auf den Faschismus, als Schirm gegen totalitäre Regime, die über Hirnwäsche und Gleichschaltung das Denken uniformieren, um die Gesellschaft uniform zu machen.
In dem Roman „Unterwerfung“ von Michel Houellebecq greifen die Islamisten (nachdem sie im Wahlkampf mit dem rechtsradikalen Front National als das kleinere Übel gewählt werden) als erstes nach dem Bildungsministerium – in Frankreich, einem stark zentralistischem Staat, in dem fast alle Macht von der Hauptstadt ausgeht, auch im Bildungssystem. Man stelle sich vor, Alexander Gauland wäre Bildungsminister – wären wir nicht froh, wenn unsere Kinder ihm nicht direkt ausgeliefert wären? Wenn der Bund nicht den direkten und einzigen Zugriff auf die Schulen hätte?
Lieber Ärger beim Schulwechsel als staatliche Hirnwäsche?
Vielleicht nehmen wir zu selbstsicher, zu krisenunbewusst an, dass immer alles gut werden wird. Dinge geschehen. Halbfaschisten werden Präsidenten (zum Glück sind die USA föderalistisch). Vielleicht leisten wir dem Bildungsföderalismus den besten Dienst, wenn wir jetzt anfangen, auch sicher- und sicherstgeglaubte Werte zu hinterfragen. Und das zu schätzen, was in der Praxis oft genug nervt und an tausend Ecken verbesserungswürdig ist, aber für etwas Grundlegendes steht: ein System, das Macht verteilt und Gegengewichte schafft. Vielleicht lieber Ärger beim Schulwechsel als die Struktur für staatliche Hirnwäsche?
Wir müssen mit allem rechnen
Müssen wir umdenken, weil das Undenkbare nicht mehr ausgeschossen ist? Ok, Wahlen gehen so oder so aus, und im schlimmsten Fall macht die GroKo weiter – aber ist das wirklich der schlimmste Fall? Gehen wir nicht ganz selbstverständlich doch irgendwie davon aus, dass wir nie wieder fliehen oder auswandern müssen? Dass Kriege nicht auf unserem Boden oder in Europa stattfinden? Dass die EU, die liberale, westliche Wohlstandswelt schon irgendwie erhalten bleibt? Alle reden vom post-faktischen Zeitalter. Die US-Wahl ist der Einbruch des Faktischen. Wir müssen mit allem rechnen.
Ich fügte bei der Antwort im Fragenkatalog einen Nachtrag hinzu: „Diese Sätze gelten nur für die Annahme eines liberalen Rechtsstaates. Im Falle einer totalitären Regierung ist der Bildungsföderalismus ein Schutz gegen Umerziehung.“